'Zu Oberons Wiegenfest'- Kaiserin Elisabeths Familiengedicht

Zurück aus der Sommerpause beschäftigen wir uns in der neuen Folge mit diesem Thema: Auch für ihre Gedichte ist Kaiserin Elisabeth bekannt. Zumindest einige davon sind in schroffem Ton abgefasst und tauchen die Verfasserin für uns in ein negatives Licht. Das wohl bekannteste Beispiel dieser Art präsentiert sich in dem Gedicht "Zu Oberons Wiegenfest" aus dem Jahr 1887, in welchem Elisabeth Teilen ihrer kaiserlichen Verwandtschaft im Zuge eines Familiendiners nicht nur Tiernamen sondern auch tierische Eigenschaften zuweist. Aber sind diese Worte tatsächlich nur als Beleidigungen zu verstehen? Betrachtet man dieses Gedicht im Spiegel seiner Zeit und in seiner Gesamtheit, erschließen sich auch andere Einblicke, die zwischen den Zeilen verborgen liegen. In dieser Folge der Porzellanfuhre soll versucht werden, dieses eigenwillige Gedicht, die beschriebenen Personen und deren Hintergründe zu erläutern.

Zu Oberons Wiegenfest.

Es läuten zu dem Feste
Die Glocken loyal froh;
Ich wünsche mir das Beste.
War' ich nur heut' ein Floh!
Ich biss' die hohen Gäste,
Es juckte sie dann so,
Die Herr'n unter der Weste,
Die Damen am P–o;
Sie sprängen hoch und leste, Flink, hurtig.
Als brenn' es lichterloh,
Verzweiflung jede Geste,
Die Wagen schnell, heiho!
Ich aber hätt' das Beste;
Los war' ich Aller so.

II.

»Heute will ich Dich zerstreuen«,
Spricht Titania zum Gemahl;
»Denn ich weiss, Dich kann nicht freuen
Deiner Jahre hohe Zahl.

Muss Dich leider embêtieren
Der Familie grosser Chor,
Stell' ich, Dich zu divertieren,
Sie als Tiere dann Dir vor.

In viel goldenen Karossen
Werden sie den Berg herauf
Schon von Deinen weissen Rossen
Hergeführt in raschem Lauf.

Wir zwei harren in der Halle,
Die mit Blumen reich geschmückt;
Nach dem Range werden alle
Lieben hier ans Herz gedrückt.

Dicke, Dünne, Alte, Junge,
Jedes kommt jetzt an die Reih',
Unverschämt lügt jede Zunge:
»Euch zu seh'n, wie ich mich freu'!«

Nach des Wiederseh'ns Entzücken
Setzt man sich zum reichen Mahl
Und mein Stab berührt den Rücken
Jedes Gastes nun dreimal.

Ob'ron, ei! zu Deiner Rechten
Welch' ein mächtig Trampeltier,
Statt der langen falschen Flechten
Siehst du blondes Fell jetzt hier!

Doch die Augen sind dieselben,
Listig lauernd wie vorher,
Auch die Löckchen noch, die gelben,
Liegen auf der Stirne schwer.

Und den Stolz in seinen Zügen
Trägt es selbst als Trampeltier;
Volksgejohl ist sein Vergnügen
Vivat! Slava! sein Plaisir.

Darum zieht's in allen Städten,
Märkten feierlich herum;
Voraus muss der Tambour treten;
Aufgepasst! nun kommt's, bum, bum!

Oberon zu Deiner Linken
Einer rackerdürren Sau
Blaue Äuglein ehrlich blinken,
Ähnlich Dir fast im Geschau.

Ihre Ferklein, herzig kleine,
Bracht' sie aus dem Nachbarreich;
Sehen dort dem Vaterschweine
Bis aufs letzte Härchen gleich.

Mit den angestammten Rüsseln
Arbeitet das emsig los
In den Tellern, in den Schüsseln;
Leises Grunzen hört man blos.

Jener alten grauen Katze,
Räudig und mit gelbem Zahn,
Scharfen Krallen in der Tatze,
Sieht man gleich ihr Welschtum an.

Bracht' zur Welt auch viel Geziefer,
Wie's bei Katzen so Manier,
An der Tafel etwas tiefer
Siehst Du Muster davon hier.

Von dem ersten Wurf ist jener
Borstig weisse alte Fuchs;
Ins Gesicht thut niemand schöner
Dir und beisst Dich hinterrücks.

Seine Gattin, eine fette,
Kleine, dralle Bauernkuh,
Bringt ihm jährlich zwerghaft nette
Junge. – Zahlen musst dann Du.

Von dem zweiten Wurfe stammen
All die Kirchenmäuse dort,
Bettelarm trotz hoher Namen,
Pflanzten rasend schnell sich fort.

Oft thun Dir die Ohren gellen,
Wenn der alte Mäus'rich piepst,
Doch der Jungen fromme Seelen,
Sah' ich gern, dass du sie liebst.

Dieser sanften, tauben Taube.
Hilft ertragen den Gemahl
Nur ihr felsenfester Glaube
An ein Jenseits nach der Qual.

Wolfsmilch aus den Apenninen
Sog hier dieser Hund, halb Wolf,
Stammt aus eines Reichs Ruinen
An Neapels blauem Golf.

Während von des Vaters Seite
Er Hispaniens Stolz bekam,
Sahen doch gar manche Leute,
Wie er schmählich sich benahm.

Eine wilde, tolle Rotte,
Heult mit Brüdern er bei Nacht;
Sicher ist oft nicht der Tote,
Wenn er seine Spässe macht.

Nun, nach all den lieben Tieren
Rühr' ich den da an zum Schluss,
Weil den Stab desinfizieren
Ich nach diesem schleunigst muss.

Ekelhaft ist mir der Affe,
Boshaft, wie kein andres Vieh;
Solcher Tag scheint wahre Strafe,
Seh' ich ihn, den ich sonst flieh'.

Hässlich, wie es anzuschauen,
Ist sein Maul auch lasterhaft,
Stets erfasst mich innres Grauen
Trifft mich seine Nachbarschaft.

Doch das Mahl könnt' jetzo enden,
Die Karossen fahren vor,
Pöbel gafft aus allen Ständen
An des Zaubergartens Thor.

Aber halt! Die Unbewussten
Schicken wir doch so nicht weg;
Kriegen in den Tieres-Krusten
Draussen sonst am End noch Schläg'.

Darum will mit Blitzesschnelle
Ich entzaubern sie gleich hier;
Treten über Ob'rons Schwelle
Lass ich Menschen, statt Getier.

Nur der Letzte kann so bleiben,
Macht auch keinen Unterschied,
Ob das Volk sein äffisch Treiben
In der Affenhaut besieht.«

*

»Nun sind sie fort, und über Saal und Halle
Schwebt wieder die gewohnte süsse Ruh',
Längst schwand der goldnen Sonne Strahl dem Thale,
Und ferne Sterne winken uns dort zu,
O tritt hinaus in Deinen Zaubergarten,
Und freue Dich der stillen Sommernacht,
Wo tausend Blumen Deiner duftend warten.
Von Rosen wird Dir noch ein Hoch gebracht!
Doch sieh! Dort steigen prasselnde Raketen
Zu Deinem Wiegenfeste, Oberon;
Wenn wir auch länger gern bestaunt sie hätten,
Rasch schwinden sie dem Blick im Dunkel schon.
So scheinen sie ein Bild der Lebensjahre,
Die allzu flüchtig Dir dahin geeilt,
Um welche, wie ich heute wohl gewahre,
Dir banges Trauern in der Seele weilt.
O wende Deinen Blick auf jene Sterne,
Die ewig leuchten dort am Firmament,
In denen unsre Seele dankbar, gerne
Den Schöpfer alles Hehren preist und kennt!
So werden, wenn die Jahre längst entschwunden,
Noch leben Deine Thaten fort und fort;
Dass Du einst warst, wird dankbar nachempfunden,
Und segnen wird Dich noch manch betend' Wort.« 1

Mit „Zu Oberons Wiegenfest“ hinterließ uns die Kaiserin von Österreich ein ebenso bekanntes wie kontroverses Gedicht, das bis heute Anlass zu Diskussionen gibt. Der schroffe Ton und die scheinbar beleidigende Ausdrucksweise lassen den heutigen Leser/Leserin nicht selten zurückschrecken und die Frage aufkommen, ob die sonst so elegante, meist als zurückhaltend wahrgenommene Kaiserin von Österreich nicht doch eine andere, deutlich weniger sympathische Seite aufwies.    

Tatsächlich dienten Elisabeths Schriften wohl seit ihrer Entstehung als Quelle unterschiedlichster Kontroversen und Interpretationen, wobei in manchen Fällen auch die Frage des finanziellen Vorteils mitschwang. Gräfin Marie Larisch, Elisabeths kaiserliche Nichte, verfügte über ein Konvolut von Originalschriften der Tante und benutzte diese in späteren Jahren für teils abenteuerliche Spekulationen und Interpretationen in Buchform. Sie sollte nicht die Einzige bleiben. 2

Was also verbirgt sich hinter ihren Schriften?  

Betrachtet man den Umgang mit Elisabeths Gedichten, so fällt auf, dass es häufig nur jene Stellen ins grelle Licht der Öffentlichkeit schaffen, die als „Aufreger“ gerade dienlich sind, während die restlichen Passagen im Dunkel der Ignoranz verborgen bleiben.  Oberons Wiegenfest mag hierbei als besonders gutes Beispiel dienen, da uns die tierischen Eigenschaften, mit denen Elisabeth in ihren Zeilen jongliert, heute als frech und beschämend erscheinen müssen. 

Das nun thematisierte Gedicht beschreibt ein Diner, welches im Jahre 1887 zu Ehren des Geburtstags Kaiser Franz Josephs in Bad Ischl gegeben wurde. Fünfundzwanzig Personen waren an jenem 18. August anwesend, Franz Joseph und Elisabeth empfingen die geladenen Gäste gemeinsam, bevor man sich zu Tisch begab. Elisabeth, die über eine gute Beobachtungsgabe verfügte und die charakterlichen Eigenschaften und Schwächen der Tischgäste durchaus kannte, machte sich bei der Niederschrift der Zeilen nicht einfach nur einen Jux, sondern fand in der Transformation von Mensch zu Tier ein äußerst effektives Stilmittel zur Beschreibung der Anwesenden: 

Eine in Elisabeths Augen deutlich negativ besetzte Person, Kronprinzessin Stephanie, hat bereits in den ersten Strophen ihren Auftritt und erscheint als „blondes Trampeltier“ bei dem Geburtstagsdiner Kaiser Franz Josephs. Dieser Begriff bezieht sich nicht nur auf die fehlende Grazie und die (zu Beginn) mangelnde Gewandtheit Stephanies  im Umgang mit dem Wiener Hof, sondern zunehmend auch auf die Vorliebe der Kronprinzessin für höfische Feste und öffentliche Auftritte, womit Elisabeth auf die geistige Einfachheit und Oberflächlichkeit Stephanies anspielt. Kaiserin Elisabeth, die dem Wiener Hof über weite Strecken distanziert gegenüberstand und die Doppelbödigkeit der höchsten Gesellschaft gerne anklagte (übrigens auch in diesem Gedicht), konnte so mit ihrer Schwiegertochter wenig anfangen.  Darüber hinaus hatte sich das eheliche Verhältnis zwischen Stephanie und Kronprinz Rudolf zu Zeiten der Entstehung dieses Gedichts im Jahre 1887 bereits merklich abgekühlt. Jene Form der Antipathie, wie sie nach dem Tod Rudolfs Stephanie offen entgegenschlagen sollte, zeigt sich etwas subtiler bereits 1887. 

Die darauffolgende Strophe enthält nun jenen Passus, für den Oberons Wiegenfest bekannt werden sollte und der noch heute in diversen Foren und Gruppen für Diskussionsstoff sorgt: Kaiserin Elisabeth bezeichnet ihre zweitgeborene Tochter Gisela als „rackedürre Sau“. Kaum jemand würde sein Kind wohl dermaßen diskreditieren, warum also setzt gerade Elisabeth so einen Schritt?  

Es bedarf keiner weiteren Ausführung, dass der Begriff „Sau“ im deutschen Sprachgebrauch als Schimpfwort Anwendung findet, weniger oft assoziiert man damit das weibliche Gegenstück zum Eber, also das weibliche Schwein. Dieses wiederum gilt allgemein als wachsame und aufmerksame Mutter, welche ihren Kindern, den Ferkeln, Schutz und Zuneigung bietet. Gisela, die allgemein als gewissenhafte Mutter wahrgenommen wurde, passt so in Elisabeths lyrische Gedankenwelt, auch wenn die Optik dabei etwas schief sitzt.  Tatsächlich dürfte das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter kein sehr enges gewesen sein, mit dem Satz „ihre Ferklein, herzig  klein“ in der nächsten Strophe lässt sie allerdings eine gewisse Zuneigung zu ihren Enkelkindern durchblitzen. 

Im Gegensatz zu der grauen Katze (Großherzog Ferdinand IV Salvator), der sanften, tauben Taube (Erzherzogin Maria Theresia), und dem Hund, halb Wolf (Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand), tritt gegen Ende des Gedichts eine Person tatsächlich äußerst negativ hervor. Keinen Hehl mach Elisabeth aus ihrer Abneigung gegen Erzherzog Ludwig Viktor, den jüngsten Bruder ihres Gatten Kaiser Franz Joseph: „Ekelhaft ist mir der Affe; Boshaft wie kein andres Vieh; Solcher Tag scheint wahre Strafe; Seh ich ihn, den ich sonst flieh“, schreibt sie unverblümt.

Diese deutliche Distanzierung lässt sich durch Ludwig Viktors ambivalentes Wesen herleiten. Zwar erlangte er als Kunstmäzen und Gönner eine gewisse Bekanntheit, firmierte aber auch als äußerst intrigante Figur am Wiener Hof. So dichtet Elisabeth vom „hässlichen und lästerhaften Maul“ des kaiserlichen Schwagers, dem sie nach allen Regeln der Kunst aus dem Weg geht. 

Am Ende des Gedichts gibt Elisabeth mit einer Ausnahme all den Gästen wieder ihr menschliches Antlitz und somit ihre Würde zurück, der Spuk ist vorbei. Auch in dieser Handlung spiegelt sich der durchaus vorhandene Respekt gegenüber ihren Verwandten - mit einer Ausnahme. „Nur der Letzte kann so bleiben, macht auch keinen Unterschied“, schreibt sie über Ludwig Viktor, den sie auch nach der Rückführung noch als Affen betrachtet. An dieser Stelle offenbart sich die einzige echte Beschimpfung in Oberons Wiegenfest…3.

 

 

 

  • 1Hamann, Brigitte, Das poetische Tagebuch, 2003 Wien, S. 260.
  • 2Sokop Brigitte, Jene Gräfin Larisch, 1985 Wien.
  • 3.Hamann, Brigitte, Das poetische Tagebuch, 2003 Wien.