Mayerling und das letzte Porträt des Kronprinzen- Die Tragödie

(TW: Suizid) Gegen 11.30 Uhr befand sich Baronesse Mary Vetsera bereits auf dem Weg nach Mayerling. Um 12.00 Uhr machte Gräfin Marie Larisch im Verhör nachweislich falsche Angaben bezüglich Marys Verbleib. Baronin Helene Vetsera, Marys Mutter, wurde um 13.00 Uhr bereits von bösen Vorahnungen heimgesucht. Und Kronprinz Rudolf steuerte seine Kutsche auf Umwegen durch das winterliche Wien, Mayerling entgegen. Kurz vor 16.00 Uhr schließlich, als die Sonne bereits sank, trafen die ProtagonistInnen der berühmten Affäre um Mord und Selbstmord in dem abgelegenen Jagdschloss ein. Ein dunkles Geflecht aus Lügen und Halbwahrheiten, aus Schutzbehauptungen und Verleumdungen sollte an jenem 28. Jänner 1889 unaufhaltsam gewoben werden, und noch heute ist es schwierig, diese letzten Stunden im Leben Marys und Rudolfs widerspruchslos zu rekonstruieren. Begleite uns auf dem Weg nach Mayerling, höre die Geschichte des letzten Tages vor der Katastrophe in dem zweiten Teil unserer Mayerling Trilogie hier bei Porzellanfuhre.

Ischler Wochenblatt, 02.02.1889:

"Vorigen Freitag ließ sich Kronprinz Rudolf zum letzten Male porträtieren. Er erschien um 1 Uhr mittag bei dem polnischen Maler Thaddäus Ajdukiewicz, welcher das Makartsche Atelier innehat, um dem Künstler zu sitzen. Kronprinz Rudolf trug die Feldmarschall- Lieutnants Uniform. Maler Ajdukiewicz wird das Bildnis, welches den Kronprinzen zu Pferde sitzend darstellen wird, dem Kaiser überreichen."1

Der 28. Jänner 1889 begann - darin sind sich die Quellen einig - unspektakulär. Kronprinz Rudolf nahm seine Termine in der Hofburg gewissenhaft wahr, gab Audienzen und hielt Besprechungen ab. Noch wenige Stunden zuvor hatte Rudolf Zeit an der Seite seiner langjährigen Gefährtin, Maria Kaspar verbracht, und auch seinen Freund, den Zeitungsinhaber Moritz Szeps getroffen. Das wohl bekannteste Ereignis jenes Vorabends aber war zweifellos der Empfang in der Deutschen Botschaft gewesen, ein Termin, um dessen Ablauf sich bis heute unterschiedlichste – wenn auch wenig glaubhafte - Gerüchte ranken (siehe Teil 1).

Während sich in der Wiener Hofburg also die von Bürokratie geprägte Routine zäh voran schob, herrschte sowohl in der Salesianer Gasse als auch im Grant Hotel bereits geschäftiges Treiben. Um 10.00 Uhr verließ Gräfin Marie Larisch die Räumlichkeiten ihrer Suite, um Mary im Palais Vetsera abzuholen, gegen 10.30 Uhr trat die junge Baronesse ihre letzte Reise Richtung Mayerling an. Unter dem Vorwand, eine Rechnung in dem Galanteriewarengeschäft Rodek umschreiben zu lassen, lotste Gräfin Larisch Mary aus dem mütterlichen Palais, ließ kurz nach Antritt der Fahrt die Destination ändern und brachte Mary Vetsera ohne Umwege zur Augustiner Bastei, wo Rudolfs Kutscher Bratfisch bereits wartete. Erst danach begab die Larisch sich zu Rodek, fingierte Marys Verschwinden und setzte auf diese Weise eine Maschinerie aus Lügen, Behauptungen und Halbwahrheiten in Gang, welche noch heute durch die stetig wachsende Mayerling Literatur befeuert wird.2

Bereits zu diesem Zeitpunkt gerät die berühmte Affaire rund um den Kronprinzen von Österreich allerdings zum Verwirrspiel, gibt Anlass zu unterschiedlichsten Theorien, die mittlerweile ganze Bücher füllen. Denn folgt man den Aufzeichnungen der Gräfin Larisch, so wurde Mary nicht nur zu, sondern vielmehr auch in die Hofburg geführt, traf am späten Vormittag dort ein und verschwand in den Räumen des Kaisersohns. Unschöne Szenen sollen sich zwischen Marie Larisch und Rudolf daraufhin abgespielt haben, Handgreiflichkeiten und Drohungen werden beschrieben, selbst eine Schusswaffe will die Gräfin in des Kronprinzen Hand gesehen haben. Rudolf habe sie in diesem Augenblick unerwartet vor vollendete Tatsachen gestellt, schreibt Marie Larisch in ihren Memoiren, Mary werde nicht mit ihr zurückfahren wie geplant, sondern an der Seite des Kronprinzen bleiben. Der Skandal schien unausweichlich. 3

Wie auch immer man diese, historisch nicht zu verifizierende Episode bewerten möchte, schon um die Mittagsstunde befand sich Mary Vetsera in Bratfischs Kutsche und traf bald darauf beim “Rothenstadl”, einem damals bekannten Wirtshaus an der Stadtgrenze auf den Kronprinzen, der separat angereist war.
Um 12 Uhr tätigte Marie Gräfin Larisch eine nachweislich falsche Aussage in den Räumlichkeiten des Polizeipräsidenten bezüglich Marys Verbleib und auch Baronin Helene Vetsera wurde von Larisch durch ein “Komödienspiel”, wie Helene später es nannte, in die Irre Geführt.4

Durch Memoiren und Denkschriften, die beide Frauen in späteren Jahren herausgaben, wird eine weitere Problematik rund um den Skandal Mayerling evident: Versuche der Rehabilitierung lassen sich klar erkennen, die nicht selten auf Kosten der historischen Wahrheit gehen. Sowohl Gräfin Marie Larisch als auch Baronin Vetsera werden es zumindest bei manchen Passagen mit der Abfolge historischer Ereignisse nicht ganz genau nehmen und einige Details verschweigen oder überhaupt erst neu ins Spiel bringen. Aber auch Johann Loschek, Rudolfs Kammerdiener und wichtiger Zeuge bezüglich der Vorgänge in Mayerling selbst, wird gleich mit zwei unterschiedlichen Versionen seiner Beobachtungen aufwarten. Und in späteren Jahren, als Reaktion auf bereits kursierende Schriften, werden ehemalige Mitglieder des kaiserlichen Hofes ihre Versionen der Geschehnisse zum Besten geben, ohne selbst über adäquate Informationen, oder auch nur ein näheres Verhältnis zu Rudolf, verfügt zu haben. In diese Kategorie lassen sich beispielsweise Aussagen von Leopold Wölfling oder auch Eugen Ketterl einordnen. 5

Das alte Jagdschloss Mayerling
Das alte Jagdschloss Mayerling (vor 1889)

Die Ereignisse vom 28. bis zum 30. Jänner 1889 in dem kleinen Ort Mayerling lückenlos nachzuzeichnen, erscheint trotz umfangreicher Literatur und enthusiastischer Forschungstätigkeit daher kaum noch möglich. Dies spiegelt sich auch in dem Gebäudekomplex selbst wider, denn ein Besuch des ehemaligen Anwesens Kronprinz Rudolfs bietet die historischen Gegebenheiten jener Tage heute nicht mehr. 1886 einem Grafen Leiningen-Westerburg abgekauft, ließ Rudolf bauliche Adaptierungen vornehmen, das rustikale Anwesen den kaiserlichen Ansprüchen angleichen, Räumlichkeiten für seine Frau, Kronprinzessin Stephanie und seine Tochter, Erzherzogin Elisabeth Marie, herrichten. Beide hielten sich allerdings nur sehr bedingt in dem abgelegenen Jagdschloss auf, eine gesellschaftliche Drehscheibe sollte Mayerling nie werden. Dass Rudolf sich überhaupt für Mayerling entschied, mag auch in der wenig beachteten Episode rund um Mina Pick zu suchen sein, eine Schauspielerin, welcher man ein Nahverhältnis zum Kronprinzen von Österreich nachsagte. Mit dem Kauf des Anwesens von Leiningen-Westerburg, dem Ehemann Picks, fand man einen eleganten Weg sich der Dame zu entledigen, die daraufhin mit ihrem Mann fortzog. Auch die zu Eifersucht neigende Kronprinzessin dürfte diese Entscheidung geschätzt haben, ging doch das Gerücht, Rudolf hätte Jahre zuvor Mina Pick bei seiner Verlobungsfahrt nach Belgien heimlich mitgenommen. Zu belegen ist freilich auch diese Geschichte nicht. 6

Die letzten Lebensstunden vom Rudolf und Mary, ihre Taten und Worte, lassen sich in Ermangelung von Zeugen nur noch rudimentär nachzeichnen. Am 29. Jänner werden Rudolfs Jagdfreunde, Graf Hojos und Prinz Philip Koburg, zwar in Mayerling zu Gast sein, Marys Anwesenheit allerdings nicht bemerken. Ebenfalls am 29. Jänner findet abends ein Familiendinner in der Wiener Hofburg statt, zu welchem Rudolf geladen ist. Neben Kaiser Franz Joseph warten auch Kaiserin Elisabeth und Kronprinzessin Stephanie auf den Kronprinzen von Österreich. Vergeblich. Seine Abwesenheit an jenem Abend wird mit Enttäuschung registriert.
Johann Loschek, dessen Kammer direkt neben Rudolfs Schlafzimmer lag, will in der Nacht vom 29. auf den 30. Jänner ernste, angeregte Gespräche zwischen Mary und Rudolf wahrgenommen haben, ohne deren Inhalt jedoch verstehen zu können. In den frühen Morgenstunden des 30. Jänner schließlich, gab Rudolf laut Loschek noch den Befehl, anspannen zu lassen. Alles schien seinen gewohnten Gang zu gehen. Dann krachte im Schlafzimmer ein Schuss. 
 

  • 1Anno, Ischler Wochenblatt, 02.02.1889
  • 2Mayerling. Die Tragödie und ihre Deutungen, Schaefer Camillo, Verlag Carl Ueberreuter, 1987.
  • 3Die Lösung des Rätsels, Gerd Holler, Fritz Molden Verlag, 1980.
  • 4Die Lösung des Rätsels, Gerd Holler, Fritz Molden Verlag, 1980.
  • 5Es werde Licht, 1913. Das Original-Mayerling-Protokoll, Georg Markus, Katrin Unterreiner, Amalthea Verlag, 2014.
  • 6Stephanie, Kronprinzessin im Schatten von Mayerling, Schiel Irmgard, DVA, 1984.