“Man wusste nicht, ist sie ein Vampir, ein Paradiesvogel, ein unlösbares Rätsel, eine Göttin oder einfach nur eine Verrückte”, schrieb der New Yorker im Jahre 2003 und versuchte sich so dem Phänomen Luisa Casati vorsichtig anzunähern. Begonnen hatte die Geschichte rund um die einst reichste Erbin Italiens in Vorarlberg, denn Luisas Vater Alberto Amman stammte ursprünglich aus Göfis und machte sein Glück als Textilfabrikant.1
“Vielleicht gab die Marchesa mehr Geld für Schmuck und Kleidung aus als jede Königin der Geschichte, sie starb 1957 jedenfalls ohne einen Penny in der Tasche”, fuhr die Zeitung fort. In den langen Jahren ihres Lebens allerdings - sie wurde 76 - verwandelte sich das einst so schüchterne Mädchen aus gutem Hause in ein lebendes Kunstwerk, diente Futuristen und Surrealisten gleichermaßen als Inspiration und lieh dem Eskapismus ihr Gesicht. 2
Tatsächlich galt Luisa Casati nicht unbedingt als Schönheit im klassischen Sinn, sie war größer als die meisten Frauen ihrer Zeit und ihre scharf geschnittenen Gesichtszüge entsprachen nicht unbedingt dem gängigen Ideal. Es ist der durchdringende, schon stechende Blick, mit dem die Casati uns aus alten Bildern heraus eindringlich mustert. Ihr kantiges Gesicht ließ so manchen Zeitgenossen einen androgynen Einschlag erkennen. Auf vielen ihrer Fotos und Bildern wirkt sie ausgesprochen ernst, begegnet uns selbstbewusst, ja fordernd und provokant. Bald schon formte sie aus sich selbst mit Make-Up und Kostümen extravagante Kunstwerke, erweiterte ihre Auftritte durch ausgefallene Accessoires, die bald schon auch lebende Tiere und Menschen umfasste.
Viele ihrer Auftritte wirken heute unheimlich, ja geradezu grotesk und strahlen etwas mysteriöses, dunkles aus. Mit Halsketten aus lebenden Schlangen, Großkatzen, gefärbten Hunden und dem Blut frisch geschlachteter Hühner überschritt sie Grenzen, die heute nicht mehr ausgelotet werden könnten. Luisa Casati ließ eine lebensgroße Puppe von sich anfertigen, die immer auch die Kleidung der echten Luisa zu tragen hatte und mit dieser zur Verwirrung geladener Gäste zusammen am Tisch saß. Fasziniert von der Mayerling-Tragödie im Jahre 1889 ließ die Casati ebenfalls eine entsprechende Puppe der toten Mary Vetsera machen, die sie zu begleiten hatte. 3
Nachdem Luisa Casati eine Villa direkt am Canale Grande erworben hatte, konnte man sie nächstens mit Fackelträgern und einer Großkatze spärlich bekleidet durch Venedig schreiten sehen. Nicht immer waren die extravaganten Ideen Casatis dabei völlig ohne Risiko. Als einer ihrer Bediensteten im Zuge einer Performance mit Goldfarbe bestrichen wurde, drohte der arme Mann wegen des großflächigen Hautverschlusses durch die Farbe zu ersticken. Nur das rasche Abkratzen der Farbschichte verhinderte den Tod.4
Auch privat gestaltete sich das Leben Luisa Casatis ungewöhnlich. Ihre Ehe mit dem Aristokraten Camillo Casati verlief turbulent und unorthodox. Die Beziehung zu Tochter Christina blieb kühl.
Viele Jahre unterhielt Luisa zudem ein offenes Verhältnis mit dem italienischen Schriftsteller und Politiker Gabriele D'Annunzio, dessen Propagandaflug über Wien am 9. August 1918 bis heute eine gewisse Bekanntheit genießt. D'Annunzios Idee, die Hauptstadt des Kriegsgegners zu überfliegen und damit die technische bzw allgemeine Überlegenheit der eigenen Streitkräfte zu demonstrieren, gelang nach längerer Vorbereitung und sorgte international für Aufsehen. Obwohl die Fliegerstaffel nur Propagandamaterial in Form von Flugzetteln abwarf, gilt der italienische Flug über Wien als erster Luftangriff auf die Kaiserstadt überhaupt. Das abgeworfene Material musste unter Androhung schwerer Haftstrafen ohne Umwege bei der nächsten Polizeidienststelle abgegeben werden, die Einbehaltung der Flugblätter war strafbar. Trotzdem erreichte nur ein Bruchteil des Materials die offiziellen Stellen. Eines der 1918 abgeworfene Blätter ist zudem heute noch im Heeresgeschichtlichen Museum Wien ausgestellt. 5
Die letzten Jahre ihres Lebens brachte Luisa Casati in teils bitterer Armut zu. Zwar fand die einstige Muse, Mäzenin und Trendsetterin Unterstützung bei Freunden. Die gesellschaftliche Veränderung nach dem ersten Weltkrieg, das Wegbrechen der aristokratischen Gesellschaftsschichte, aber auch der sich ändernde Zeitgeist ließen den einst so kapriziösen Lebensstil der italienischen Marchesa mehr und mehr in Desinteresse und Ablehnung versinken. Auch in künstlerischer und kultureller Hinsicht hatten sich die Schwerpunkte verschoben, Luisa Casati, die als eine der meist gemalten Frauen ihrer Zeit gilt, konnte mit ihrer Kunst nicht mehr überzeugen. Sie starb am 1. Juni 1957 in London, fern ihrer italienischen Heimat, wo die Schulden sie zu erdrücken drohten. Heute ist die kunstsinnige femme fatale mit den vorarlberger Wurzeln in Österreich längst vergessen. Ihre Lebenslust, ihre Kunst und Ihr unkonventioneller Lebensstil als Frau lassen Luisa Casati jedoch zunehmend wieder in den Vordergrund rücken. 6