Stephanie und Artur
Rudolf hatte sich überraschend schnell in sein Schicksal als Bräutigam gefügt, schon die erste Begegnung des jungen Kronprinzen mit der noch unreifen und völlig unerfahrenen Prinzessin von Belgien in Brüssel war positiv verlaufen. Man meldete dem ungeduldig wartenden Kaiser von Österreich in Wien rasch den erhofften Erfolg, eilig wurden Hochzeitsvorbereitungen getroffen.
Im Jahre 1883 wurde Rudolfs und Stephanies einziges Kind geboren, eine Tochter, worüber der Kronprinz von Österreich überaus enttäuscht gewesen sein soll. Geliebt hat er Erzherzogin Elisabeth Marie trotzdem, das aufgeweckte Kind sollte seinem Vater in so mancher Hinsicht ähnlich werden. Der erhoffte Sohn ward Rudolf indes nie gegeben, dazu jedoch später mehr.
Obwohl der Kronprinz von Österreich und die Tochter des überaus reichen belgischen Königs durchaus unterschiedliche Auffassungen von ihren Rollen als zukünftige Herrscher Österreichs mitbrachten, unterschiedliche Interessen verfolgten und charakterlich wenig gemein hatten, verliefen die ersten Jahre diese Ehe – man möchte beinah sagen – ungewöhnlich harmonisch. Das junge Paar trat gemeinsam auf, unternahm Reisen, erfüllte Repräsentationspflichten und lernte sogar Fremdsprachen zusammen. Als Rudolf sich dem Kronprinzenwerk widmete – einem literarischen Mammutprojekt - beteiligte sich auch Stephanie daran. 1
1886 indes kam es zu einem ernsten Zerwürfnis zwischen den Beiden, welches als Spitze eines bereits schwelenden, ehelichen Konflikts zu interpretieren ist, der auf Eifersucht wie Entfremdung ebenso zurückzugehen schien. Rudolf infizierte seine Frau mit einer Geschlechtskrankheit (wahrscheinlich Gonorrhoe), Stephanie verweigerte ihrem Mann in weiterer Folge die ehelichen Rechte. Die Kronprinzessin Österreichs erholte sich zwar von der Infektion, konnte als Folge der Erkrankung allerdings keine Kinder mehr bekommen.
Folgt man den biographischen Aufzeichnungen Stephanies, so veränderte sich das Wesen Rudolfs besonders in den letzten Lebensmonaten drastisch. Der einst von seinen Studien und Schriften beanspruchte Kronprinz hatte seine literarischen Ambitionen zugunsten leichter Unterhaltungslektüre stark vernachlässigt, war unkonzentriert, ungeduldig und fahrig geworden. Auch wenn Rudolf seinen offiziellen Pflichten immer noch nachkam, war sein Arbeitseifer am Schwinden, seine Ausdauer deutlicher geringer geworden. Wutausbrüche, so Stephanie, gehörten in dieser letzten Phase seines Lebens zur Tagesordnung, eine verstärkte Reizbarkeit soll sein Wesen ausgezeichnet haben.
Ernsthafte Unterhaltungen mit ihrem Ehemann zu führen, fiel der Kronprinzessin zunehmend schwer. Ein Übermaß an Alkohol tat das übrige. Ob Kronprinz Rudolf aufgrund der Behandlung seiner Geschlechtskrankheit auch regelmäßig Betäubungsmittel erhielt und sich auf diesem Wege eine Abhängigkeit entwickelte, ist bis heute umstritten. 2
Dass Rudolf noch im Jahre 1888 Versuche unternahm seine Ehe zu retten, oder seiner Frau zumindest ein gewisses Maß an Sympathie und Zuneigung entgegenbrachte, lässt sich aus einem jener Briefe mit privatem Inhalt herauslesen, der die Stürme der Zeit unbeschadet überstanden hat. Am 30 März 1888 kündigte der Kronprinz seiner Frau postalisch einen Besuch in Abbazia (heute Opatija in Kroatien) an, übermittelte Stephanie die Gästeliste für ein geplantes Abendessen und bat sie in seiner typischen jovial-spitzbübischen Art ohne Umschweife, doch wieder eine Nacht mit ihm zu verbringen. Er schrieb, dass es doch nett wäre, wieder einmal „herumzunutscherln“ und unterschrieb den Brief nicht etwa als Kronprinz von Österreich oder mit seinem Namen, sondern mit Coco, einem Kosewort. (Stephanie wurde von Rudolf im Gegenzug Coceuse genannt.)3
Wenige Tage bevor Rudolf zur Feder gegriffen hatte, schickte auch Stephanie einen Brief ab, an ihre Schwester Louise, welche als Gattin Prinz Phillips von Coburg ebenfalls in Wien lebte. In jenem Schreiben gestand sie Ihrer Schwester die Liebe zu einem Mann, der nicht ihr Mann war. In vielen weiteren Briefen sollte die Kronprinzessin von Österreich von den emotionalen Verstrickungen berichten, die eine geheime Affäre nicht selten mit sich bringt, denn die Liebe der zukünftigen Kaiserin von Österreich zu einem anderen Mann musste unter allen Umständen geheim bleiben. So geheim, dass Stephanie den Namen des Unbekannten zunächst nicht preisgab. Erst im Laufe des Briefwechsels zwischen den beiden Schwestern nahm der Liebhaber Gestalt an, konkrete Angaben lassen sich nicht zuletzt durch den Abgleich mit diversen Presseartikeln finden. Hinweise gab auch das Reiseverhalten Stephanies und nicht zuletzt die medizinischen Akte des Unbekannten, der noch im Todesjahr Kronprinz Rudolfs selbst zu verscheiden drohte.
Artur Potocki, ein Spross aus uraltem, polnischem Adel war an Zungenkrebs erkrankt, musste sich zwei Operationen unterziehen und geraume Zeit in Erholungsheimen und Spitälern zubringen. Obwohl Potocki seinen Therapien auch in Wien nachkam, gab es für Stephanie kaum Gelegenheit ihn zu sehen. Nach dem Ableben Rudolfs wurde die Kronprinzessin zur Kronprinzessinnen Witwe, hatte das vorgeschriebene Trauerjahr dem Protokoll entsprechend zu absolvieren und jeder Beziehung streng zu entsagen. Dass die trauernde Witwe Artur Potocki bereits 1887 während einer Reise nach Galizien kennengelernt hatte und dieser ein Jagdfreund des Kronprinzen von Österreich war, spielte dabei keine Rolle. Am 25. März 1890 schließlich erlag Potocki seinem schweren Leiden. Wieder klagte Stephanie ihrer Schwester die emotionale Tortur, ihre Liebe, aber auch ihren Schmerz geheim halten zu müssen, ein zweites Leben im Verborgenen führen zu müssen. Dass diese Briefe heute überhaupt erhalten sind, ist übrigens Louise zu verdanken, die Stephanies Bitte, die Schriftstücke zu vernichten, aus unbekannten Gründen nicht nachkam.
Prinzessin Stephanie von Belgien, Kronprinzessin und Kronprinzessinnen Witwe von Österreich verlor innerhalb weniger Monate tatsächlich zwei Männer, die ihr Herz erobert hatten.