Gruppe 2, Nummer G72, Hütteldorfer Friedhof.
Nur ein Grab. Eines von vielen. Ein großes namenloses Kreuz und eine schwere Grabplatte, völlig unscheinbar. Ein totaler Kontrast zu der schillernden Persönlichkeit, die darin begraben liegt. Die Enkelin des berühmten Kaisers Franz Joseph dessen Unterschrift zum Beginn des Ersten Weltkriegs führte. Sie trug den Namen ihrer berühmten Großmutter Kaiserin Elisabeth, der sie in so Vielem ähnlich war. Sie war das einzige Kind eines Kronprinzen, der sich nicht zu helfen wusste und schließlich freiwillig aus dem Leben schied. Ihr Großvater mütterlicherseits veranlasste einen der ersten Massenmorde. Verwandtschaft kann man sich nicht aussuchen. Das Grab schon. Und auch, was die Besucherinnen des Friedhofs über die Tote erfahren sollen.
Nichts. Genau so wollte sie es. Vergessen von der Welt. So, als hätte sie nie existiert. 1
Elisabeth Marie Henriette Stephanie Gisela von Österreich, auch bekannt als Erzsi, wurde am 2. September 1883 in Laxenburg als einzige Tochter von Kronprinz Rudolf und Kronprinzessin Stephanie von Österreich geboren. Ihr Vater verstarb tragisch am 30. Jänner 1889 in Mayerling, als sie gerade einmal fünf Jahre alt war.
Nach dem Selbstmord ihres Vaters wurde Kaiser Franz Joseph zu ihrem Vormund. Ihre Mutter Stephanie war kaum noch in Wien und zeigte wenig Interesse am Leben ihrer Tochter. Im Jahr 1900 heiratete Stephanie in zweiter Ehe den ungarischen Grafen Elemér Lonyay. Diese Heirat führte zu einem geringen Kontakt zwischen Mutter und Tochter, und es kam häufig zu Streitereien.
Das Leben als Tochter eines Selbstmörders am Wiener Hof war nicht einfach und führte zu einer gewissen Abschottung. Man fürchtete, dass Elisabeth zu viel Klatsch und Tratsch über das Leben ihres Vaters hören könnte. Kaiser Franz Joseph war nachsichtig, vielleicht auch, weil er ein schlechtes Gewissen gegenüber seiner Enkelin hatte und es besser machen wollte als bei seinem eigenen Sohn.2
Elisabeth war eine wohlhabende Frau und somit eine begehrte Partie. Im September 1900 verliebte sie sich in Prinz Otto zu Windischgrätz. Ihr Großvater und Vormund, Kaiser Franz Joseph, war anfangs nicht begeistert von Erzsis Idee, diesen Prinzen zu heiraten. Er bat um Bedenkzeit, aber nach Ablauf dieser Zeit unterstützte er schließlich die Heirat. Somit verzichtete Elisabeth auf alle Ansprüche aus dem Hause Habsburg-Lothringen. Die Verlobung fand im Schloss Hetzendorf statt, die kirchliche Trauung in der Hofburg Kapelle. Elisabeth war zu diesem Zeitpunkt 18 Jahre alt, ihr Ehemann 28. Die Hochzeit fand am 23. Jänner 1902 statt in der Wiener Hofburg statt und aus dieser Ehe gingen vier Kinder hervor: Franz Joseph, Ernst Weriand, Rudolf und Stefanie.3
Nach der Geburt ihres ersten Kindes beendete Otto Windischgrätz seinen Dienst in der k. u. k. Armee und lebte fortan vom Vermögen Erzsis. Aufgrund gesundheitlicher Probleme ihrer Kinder suchte Elisabeth mit ihnen mehrere Kurorte auf. Zunächst begleitete Otto seine Familie, doch später blieb er dem gemeinsamen Wohnsitz oft wochen- oder monatelang fern. Stattdessen widmete er sich lieber der Jagd oder nahm an Polospielen teil. Diese Entfremdung führte zu einer zunehmenden Abkühlung der Beziehung, und im August 1915 erwähnte Elisabeth gegenüber Otto bereits ihren Wunsch nach Scheidung. Otto hatte keine Einwände, jedoch erfuhren auch Kaiser Franz Joseph und das Oberhaupt der Windischgrätzfamilie, Alfred, davon. Beide lehnten eine Scheidung ab und verhandelten monatelang miteinander, insbesondere hinsichtlich der Erziehung der Kinder, was ein weiterer Streitpunkt des Paares blieb.4
Im November 1917 begann der Scheidungsprozess des Fürstenpaares Windischgraetz. die Zeitung “Arbeitswille” druckt am 02. Juli 1919 einen Teil der Anklageschrift von Otto Windisch- Graetz ab. Darin führt er folgende Scheidungsgründe an:
Verletzungen der ehelichen Treue und Ehebruch
Unordentlicher Lebenswandel, durch welchen die guten Sitten der Familie in Gefahr gebracht werden
Sehr empfindliche, wiederholte Kränkungen
Grobe Verletzungen der guten Sitten
Verletzung der ehelichen Pflichten in Ansehung der Kinder
Während Ottos Klage in diesem Artikel mehr als zwei Spalten füllt, wird Elisabeths Scheidungsklage hingegen in einem sehr kurzen Absatz zusammengefasst:
“Die Fürstin Windischgraetz hatte auch ihrerseits eine Scheidungsklage überreicht, in welcher sie ihrem Gatten Ehebruch und Verschwendungssucht vorwirft.”
Sowohl Elisabeth als auch Otto führen außereheliche Beziehungen. Der Fürst hatte beispielsweise eine Affäre mit der Theaterschauspielerin Margarete Ferida, Erzsi verliebte sich in den Linienschiffsleutnant Egon Lerch, deren Verhältnis durch seinen frühen Tod endete.
Zunächst kommt es zu einem Vergleich und man einigt sich über die Trennung des Wohnsitzes. Im März 1920 wurde einvernehmlich beschlossen, das Verfahren ruhen zu lassen und weit mehr als 50 Personen wurden im Prozess als ZeugInnen vernommen. Der Kampf um die Kinder ging jedoch weiter. Das Bezirksgericht Landstrasse kam zu dem Entschluss, dass die zwei älteren Kinder Franz Josef und Ernst Weriand bei der Mutter bleiben sollen und Rudolf und Stephanie zum Vater ziehen müssen. 5
Als Otto am 15. Juli 1920 mit einer Begleitperson Schloss Schönau betrat, um seine ihm zugesprochenen Kinder abzuholen, weigerten sich diese mit ihm mitzugehen.
Am nächsten Tag beantragte Otto seine beiden jüngeren Kinder der Mutter im Notfall gewaltsam zu entreißen. Das Gericht gab dem Antrag zunächst statt, zog diesen dann aber aufgrund des Gesundheitszustandes der Kinder wieder zurück.
Schließlich wurde der Fall dem Bezirksgericht Baden übergeben und Landesgerichtsrat Dr. Lamel fuhr im März 1921 selbst nach Schönau um sich persönlich von der Situation ein Bild machen zu können. Daraufhin erließ einen Exekutionsbeschluss zugunsten Ottos: Demnach sollten die Kinder dem Vater notfalls ‘gefesselt’ übergeben werden und bei der Übergabe sollte ein Bezirksgendarmeriekommando, bestehend aus 22 Personen, anwesend sein.
Die Exekution wurde für den 21.03.1921 um 8 Uhr in der Früh angeordnet. Vor dem Schloss stand bereits eine größere Gruppe ArbeiterInnen, die der Kommission erklärten, sie würden niemanden hineinlassen. Als es ihnen doch gelang ins Innere des Schlosses vorzudringen, warteten dort bereits Elisabeth, die ErzieherInnen der Kinder, der Schlossdirektor und einige ArbeiterInnen auf sie. Erzsi brachte die Kommission in die Kinderzimmer, wo die Kinder sich schließlich an ihre Mutter klammerten und weiterhin darauf beharrten, nicht zu ihrem Vater zu wollen. Daraufhin brach der Gerichtsvollzieher die Amtshandlung ab und alle vier Kinder durften bei Elisabeth bleiben. 5
Die Unterstützung der ArbeiterInnen vergaß Elisabeth nie und beeinflusste sicher auch ihre Entscheidung, Mitglied der sozialistischen Partei zu werden. Sie selbst sagte in einem Interview dazu:
"Man kann, auf mancherlei Wegen zum Sozialismus gelangen. Man kann in ihn hineingeboren werden, die Zugehörigkeit zur Partei mit dem Leben selbst in sich aufnehmen. Dieser Weg erscheint mir gewiß als der glücklichste, dem jener Menschen vergleichbar, die in der Freiheit geboren wurden und sie nicht erst mühsam erringen müssen. Andere Menschen bedürfen erst eines Anstoßes, um zum Sozialismus zu kommen. Ich musste erst durch die Schule des Lebens gehen, mußte erst Erfahrungen über die Lebensauffassung derjenigen Kreise sammeln, in denen ich nach meiner Verheiratung zu leben gezwungen war. Dazu kam noch der schwere Kampf um meine Kinder, den ich hauptsächlich führte, um sie in meinem Sinn erziehen zu können. Der Fall hat ja die Oeffentlichkeit leider lange Zeit beschäftigt. Alle Gewalten schienen gegen mich verbündet, als mir hilfe von dort kam, wo ich sie am wenigsten erwartet hätte: von der Sozialdemokratie." 6
Erst am 26.03.1924 war der Ehestreit des Fürstenpaares mit Bescheid des Landesgerichts formell beendet.
Schon während der Scheidung bzw. der Trennung von Tisch und Bett hatte Elisabeth ihren späteren Lebensgefährten Leopold Petznek bei einer sozialdemokratischen Wählerversammlung in Leobersdorf kennengelernt. Petznek war Lehrer und sozialdemokratischer Politiker und ab 1927 zweiter Präsident des niederösterreichischen Landtags. Elisabeth begleitete ihn zu Kundgebungen und Versammlungen außerdem richtete sie in Schönau einen Kindergarten ein, unterstützte die Leobersdorfer Parteiorganisation bei der Errichtung eines ArbeiterInnenheims und stellte dem Jugendverband "rote Falken" einen Teil des Schönauer Schlosses zur Verfügung.
Im Zuge des Bürgerkriegs 1934 wurde Leopold Petznek wegen Verdacht auf Hochverrat und Anstiftung zum Aufruhr festgenommen. Er wird wegen Vergehens gegen die öffentliche Ruhe und Ordnung zu zwei Monaten Arrest verurteilt, hatte die Strafe jedoch bereits durch die Untersuchungshaft abgebüßt.
Im Jahr 1944 wird Petznek auf offener Straße von der Gestapo verhaftet und in das KZ Dachau eingeliefert. Noch vor der Befreiung durch die Amerikaner kann Petznek das Lager verlassen, doch die Zeit in Gefangenschaft hatte ihre Spuren hinterlassen. Auch wenn diese schwere Zeit ihre Liebe auf die Probe gestellt hatte, änderte sich nichts an ihrer gegenseitigen Zuneigung: Am 04. Mai 1948 heirateten Leopold und Elisabeth.
Am 27. Juli 1956 starb Leopold Petznek im Alter von 75 Jahren. Elisabeth konnte den Tod ihres Mannes nie überwinden und zog sich immer weiter aus der Gesellschaft zurück. Mit ihren Kindern, zu diesem Zeitpunkt lebten allerdings nur noch Franz Joseph und Stephanie, hatte Elisabeth seit vielen Jahren ein eher angespanntes und distanziertes Verhältnis. Ganz im Gegensatz zu Otto Petznek, dem Sohn von Leopold. 7
Nicht nur über Erzsi wurde viel berichtet in den Zeitungen berichtet, sondern auch über ihre Kinder. Eine Geschichte, die in der bisherigen Forschung unerwähnt geblieben ist, stammt aus dem Jahr 1929. Mehrere Zeitungen berichteten darüber, darunter auch das Neue Wiener Tagblatt. Dabei ging es um die Ex- Freundin Franz Josephs, die Selbstmord beging. Mehr dazu könnt ihr in der Podcastfolge erfahren. Elisabeth starb am 21. März 1963 und hatte verfügt, dass keines ihrer Kinder die Villa betreten dürfe, sondern nur der Anwalt Otto Petznek, der sich um den Nachlass Erzsis kümmern sollte. Alle Gegenstände, die einmal den Mitgliedern des Kaiserhauses gehört hatten, wurden der Republik Österreich vermacht und sind heute zum Teil in den größten Museen Wiens ausgestellt.