Ein Frauenschicksal- Das schockierende Geständnis der Theresia Exel

Die Presse attestierte ihr einen düsteren, sinnlichen Blick. Staatsanwalt und Richter wollten in ihr ein zutiefst verkommenes Wesen entdeckt haben. Selbst der Verteidiger referierte über 'sittliche Entartung'. Warum Theresia Exel auch noch zur Mörderin geworden war, konnte sie selbst nicht erklären. Im Jahr 1875 hatten sich die Gerichte in Wien einem aufsehenerregenden Prozess zu stellen, der mehr Fragen als Antworten hinterlassen sollte. Höre/Lese hier über das Leben der Theresia Exel, über ein Frauenschicksal, fernab von kaiserlichem Glanz und Walzerseligkeit.
Theresia Exel
Theresia Exel vor Gericht © ÖNB

„Sie ist ein zwanzigjähriges Mädchen von weniger als mäßiger Schönheit mit stierem, sinnlichem Blick und tief in den Höhlen sitzen Augen. Sie war mehrere Jahre „Handarbeiterin“ in Wien und ihr ganzes Aussehen zeugt auch davon“, vermerkte das Illustrierte Wiener Extrablatt am Morgen des 19. Juni 1875, als man Theresia Exel in den kleinen Schwurgerichtssaal in Wien führte. Die Reihen der Zuseher und Gerichtskiebitze waren geschlossen, man reckte sich die Hälse beim Eintritt der Angeklagten, ein leises Murmeln ging durch den Raum. Nicht umsonst hatte das Illustrierte Wiener Extrablatt seine Einleitung mit dem Begriff „sinnlich“ garniert, denn Theresia Exel galt als zutiefst verkommenes Subjekt, als Kind des Lasters und Megäre aus dem Volk. 

All diese Formulierungen hatte die österreichische Presse im Vorfeld bereits großzügig unter seiner Leserschaft verteilt, wobei dem Begriff „Kind des Lasters“ eine unangenehme Doppelbedeutung zukam. Die 19-jährige hatte allen von offizieller Seite gemachten Versuchen sie zu bessern erfolgreich widerstanden, ein liederliches Leben geführt und war letztlich zur Mörderin geworden. Mit dem Motiv wusste sich die Gesellschaft ebenso wenig umzugehen wie die Justiz jener Jahre. Man zog Psychologen hinzu und einen Pfarrer. Warum Theresia ein dreijähriges Mädchen umgebracht hatte, wollte sich dem Gericht nicht recht erschließen. Dabei gab die junge Frau eine eindeutige Erklärung ab.  

„Ich bin im Gebärhause in Wien auf´d Welt kommen, kaiserlicher Herr Präsident, und mei´ Mutter is´ in Simmering zuständig, sie war Dienstmagd und ist jetzt Wäscherin und am 14. September werd ich 20 Jahre alt“, erzählte die Angeklagte, nach dem der Vorsitzende sie aufgefordert hatte, dem Gericht einige Eindrücke aus ihrem Leben zu schildern. 

Präsident: „Womit haben Sie sich immer beschäftigt, erzählen Sie uns Ihren Lebensgang seit Ihren Jugendjahren.“ 

Angeklagte: „So viel ich mich erinnern kann, war ich ober Stockerau bis zu meinem zehnten Lebensjahr bei Pflegeeltern. Nachher bin ich zu meiner Mutter nach Simmering gekommen.“ 

Präsident: „Sind Sie in die Schule gegangen?“ 

Angeklagte: „Vielleicht a´ paar Mal, während der Pfleg´ in Stockerau, allerweil´14 Tag´. Z´haus bei der Mutter bin ich zwei Jahr´ in die Schule gegangen. Ich hab über sechs Pflegeeltern g´habt und überall hab i´ Schläg´ bekommen. Nachher wie die Mutter den Franz Arnold geheiratet hat, war ich bei die Eltern, aber der Vater hat mich net mögen, er hat allerweil gesagt er mag mich nicht, weil ich ein Findelkind bin. Und schlecht behandelt bin ich auch worden von ihm, weil er immer an Rausch gehabt hat. Und da bin ich halt fortgetrieben worden.“ 

Präsident: „Und was haben Sie von nun ab getan?“ 

Angeklagte: (verlegen) „Manchmal hab i das Leben geführt, manchmal war ich im Dienst.“ 

Präsident: „Sie waren also von ihrem 12. bis zu ihrem 20. Lebensjahre eine öffentliche Person?“ 

Angeklagte: (verschämt) „Net immer Herr Präsident, ich war auch meistenteils im Dienst. Mich hat mein erster Vormund mit 10 Jahren schon angeleitet zu der Schlechtigkeit und er hat mich verführt, (weinend) sonst wär’ ich gewiss net so schlecht worden.“ 

Da der von Theresia Exel schwer belastete Vormund zum Zeitpunkt der Verhandlung nicht mehr am Leben war, hatten ihre diesbezüglichen Aussagen keine Relevanz. Das Gericht wandte sich nun den Vorstrafen Theresias zu. 

Präsident: „Sie waren bereits fünfmal abgestraft wegen Diebstahls und Veruntreuung?“ 

Angeklagte: „Ja das ist wahr, während mein Dienst ist geschehen. Mit dem 17. Jahre bin ich nach Neudorf gekommen, da hat mich die Simmeringer Gemeinde auf Antrag von meinen Eltern in die Korrektion gegeben. Ich hab´ allerweil meiner Mutter geschrieben, sie möcht´ mich herausnehmen aus der Korrektion, ich will wieder brav werden, aber…sie hat es nicht getan. Ich hab´ die Hochwürdige von Neudorf innigst gebeten, sie soll mich fortschicken und sie soll mir die Freiheit wiedergeben. Ich hab´ meiner Mutter mehrere Briefe geschrieben, aber keiner hat mich abgeholt. Nachher hab´ ich amal vor Wut die Fenster eingeschlagen. Alles hat nix genutzt. Erst im November vorigen Jahres haben sie mich entlassen.“ 

Als Theresia Exel nach knapp zweijährigem Aufenthalt aus der Besserungsanstalt für Frauen entlassen wurde, folgten weitere Diebstähle bei verschiedenen Dienstherren, Entlassungen und empfindliche Strafen. Geraume Zeit verbrachte sie bei ihrer Mutter in Simmering, erfuhr neuerlich Gewalt durch den Stiefvater und kehre Wien schließlich den Rücken.  

Die Nacht vom 8. auf den 9. November 1874 verbrachte Theresia mit einem Freier in der Nähe von Baden im freien, der ihr drei Gulden zukommen ließ. Schließlich strandete die Exel in Wiener Neustadt. Perspektiven hatte sie keine, ohne Papiere war kaum mit einer Anstellung zu rechnen. Einige Stunden wanderte sie nun planlos durch die kalten Straßen und Gassen der Stadt, gegen halb vier Uhr nachmittags schließlich kam es zu jener Tat, die sich später kaum jemand erklären konnte: 

„I´weiß net, Herr Präsident, warum i´s tan hab´“ antwortete die junge Frau auf die Frage nach dem Motiv. Aus ihrer Stimme schien ehrliche Ratlosigkeit zu sprechen. Warum lockte man ein völlig fremdes, dreijähriges Mädchen mit falschen Versprechungen an sich, nahm es hoch und schleudert es mit Schwung in den nahen Bach?  

Auf mehrmaliges Fragen durch den Vorsitzenden, den Staatsanwalt und sogar den Verteidiger lieferte die Exel schließlich eine ebenso überraschende wie für das Gericht unverständliche Erklärung: „Eine rechte Schand´ hab´ ich meinen Eltern machen wollen, und einen g´scheiten Grund wollt´ ich ihnen geben, dass sie mich nach Neudorf schicken.“  

Mit dieser Aussage wusste man sich in der juristischen Welt des 19. Jahrhundert herzlich wenig anzufangen. Hinweise, dass Theresia Exel geistig abnorm war, wollte man indes schon viel früher gefunden haben und es lag durchaus in der Intention der Verteidigung, diese wagen Vermutungen durch entsprechende Aussagen zu untermauern. Der hochbetagte Pfarrer Ekl aus Bruck an der Leitha, bei welchem Theresia geraume Zeit in Dienst gestanden hatte, kam der Verteidigung mit seinen überaus blumigen Aussagen da gerade recht: 

„Meine Herren! Mit meinem Urteil bin ich gleich fertig. Das Frauenzimmer leidet an periodischem Wahnsinn, ich bleib dabei und lass´ mir´s nicht nehmen, ich sage das vom Standpunkte der Psychologie, denn jeder Pfarrer muss auch ein Psycholog sein. Einmal kommt sie zu mir gelaufen und schreit und jammert: „Den Teufel hab´ ich g´sehen, den Teufel hab´ ich g´sehen!“ Ein anderes Mal hat sie die Ofenröhre mit Briefmarken angepickt und ist herumgesprungen um den Ofen als wie ein Heide (der Herr Pfarrer macht ein Kreuz) um den Moloch. Und was glauben Sie denn, was sie noch getan hat? Zündhölzer hat sie in den Ofen gelegt - zum trocknen! Und grob und keck war´s mitunter. Nicht zum aushalten!“  

Zur allgemeinen Erheiterung des Publikums wusste der sich zunehmend in Rage bringende Geistliche noch mehr zu berichten: 

„Und meine Wirtschafterin hat´s umbringen wollen, denken Sie sich, meine Wirtschafterin! Ist das vernünftig?“  

Als der hochbetagte Pfarrer dem erstaunten Publikum darüber hinaus mit Inbrunst einen Vortrag über die schädliche Wirkung von Mohnsaft bei Findelkindern zu halten begann, und über den Gebrauch des sogenannten „Mohnzuz“ referierte, fiel Theresia Exel schließlich in Ohnmacht, wodurch wiederum einigen Damen im Zuschauerraum übel zu werden drohte. Schließlich musste der Vorsitzende eine Viertelstunde unterbrechen, der ehrwürdige Herr Pfarrer wurde mit einiger Bestimmtheit aus dem Zeugenstand geführt.  

Frau Bischof, die ehemalige Wirtschafterin des Pfarrers, konnte die zuvor erwähnten Mordpläne gegen ihre Person durch Theresia Exel zwar nicht bestätigen, gab jedoch zu Protokoll, dass die Angeklagte ein durchaus eigenwilliges Verhalten zeigte. 

Im Dorfe habe die Resel allgemein die „närrische Resel“ geheißen, sagte Frau Bischof aus.  

Besondere Bedeutung maß man den Aussagen des Aufsichtspersonals der Korrektionsanstalt in Neudorf sowie des Gefangenenhauses in Wiener Neustadt bei. Der Geistliche der Besserungsanstalt in Neudorf hatte Theresia während ihres Aufenthalts zwei Jahre lang begleitet und sah in der jungen Frau eine unverbesserliche, sture und in ihren negativen Charaktereigenschaften unveränderliche Person. Zudem sei sie ungeduldig, fahrig und „rappelig“. 

Auf den Wärter im Gefangenenhaus in Wiener Neustadt machte die Exel einen unheimlichen Eindruck. „Manchmal tanzte sie in ihrem Arrest, manchmal saß sie den ganzen Tag ruhig und war in sich gekehrt“, sagte der Mann aus. Besonderen Eindruck auf den Wachmann machte offenbar der „stiere Blick“ mit dem die jungen Frau das neugierige Wachorgan bedachte, wenn es an ihrer Zelle vorbeiging. 

Die als Experten zugezogenen Psychologen betrachteten den Fall deutlich nüchterner. Tatsächlich wurde Theresia Exel als zurechnungsfähig angesehen, das merkwürdige Gebaren, wie es der alte Pfarrer beschrieb, als derbe Streiche entlarvt. Ohne Zweifel hatte Theresia ihren Spaß daran gehabt, den Geistlichen mit allerlei Unsinn zu verwirren und an der Nase herumzuführen.  

Das Wort „verhaltensauffällig“ scheint in den Berichten des Jahres 1875 ebenso wenig auf wie die Begriffe „Jugendamt“ oder „Sozialpsychiatrie“, dafür entspann sich im Zuge des Verfahrens eine lebhafte Diskussion bezüglich einer möglichen Monomanie, also einer spezifischen, isoliert zu betrachtenden Form des Irreseins, wie sie heute in der modernen Psychologie allgemein abgelehnt wird. Nochmals versuchte die Verteidigung Theresias Verhalten auf dem Umweg einer Monomanie jede Zurechnungsfähigkeit zu abzusprechen, was nicht gelang. Das Konzept der Monomanie stand Mitte der 1870er Jahre bereits im wissenschaftlichen Abseits und fand auch in diesem Fall keinen Anklang.  

„Das Motiv, wie sie es ausspricht, hat auf den ersten Moment etwas Frappierendes, wenn man aber bedenkt, wie tief diese Person gesunken ist, wenn man weiters in Anschlag bringt, dass sie seit ihrer zartesten Kindheit sich geschlechtlichen Exzessen hingab, so kann man nichts so Auffälliges darin erblicken.“ (Illustriertes Wiener Extrablatt, 19. Juni 1875) Mit dieser Erklärung des Sachverständigen war alles gesagt. Theresia Exel war also nicht verrückt, sondern zutiefst verdorben, hatte sich „in die Arme des Lasters geworfen“, wie es an anderer Stelle hieß, und sich seit jeher geschlechtlichen Exzessen hingegeben, die sie moralisch zerfressen hätten. Auf eine Miteinbeziehung des zerrütteten Elternhauses, der extremen Armut, der häuslichen Gewalt sowie des sexuellen Missbrauchs über Jahre hinweg verzichtete sowohl der Psychologe als auch das Gericht in dem Versuch, eine charakterliche Formung des Mädchens beschreiben zu wollen. Ein Krisenzentrum für verhaltensauffällige Jugendliche kannte die Gesellschaft der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch nicht. Theresia Exel war – um einen auch heute umstrittenen Fachbegriff der Pädagogik zu entleihen – vielleicht eine „Systemsprengerin“ ihrer Zeit, und drohte trotz erzieherischer Maßnahmen den gesellschaftlichen Halt völlig zu verlieren.  

Für den Mord an der kleinen Anna wurde Theresia Exel zu fünfzehn Jahren schweren Kerkers verurteilt, der Umstand, dass sie die Tat unumwunden zugab und sich drei Tage nach dem Verbrechen freiwillig der Polizei stellte, wurden strafmildernd berücksichtigt. Die knapp Zwanzigjährige nahm das Urteil an. „Lieber sterben zehnmal, als für nichts und wieder nichts die ewigen Schläge vom Stiefvater, warf sie trotzig in den Raum. Dann wurde sie abgeführt. 1  

 

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    Gemeinde-Zeitung: unabhängiges politisches Journal, 19. Juni 1875.