Als Karoline Földessy im Zuge ihres achtzigsten Geburtstags um ein kleines Interview gebeten wurde, erzählte sie bereitwillig von ihrem Ischias, den lästigen Nervenschmerzen und der schlimmen Bronchitis, die sie "ein bissl geniere". Das Versorgungsheim auf der Baumgartner Höhe sei aber gut, berichtete sie, sie bekomme alle drei Stunden zu essen, und Steuern müsse sie auch keine mehr zahlen. 1
"Freilich, im Gang links von mir san die Gitterbetten und unten ist die Totenkammer”, erzählte die alte Dame. “Karolin, jetzt machst gewiß bald a Kraxn, hab i mir zuerst gesagt, als ich hierher gekommen bin. Aber segn Sie, i leb heut no."
Aufgewachsen war Karoline Földessy in einer Gesellschaft, die es Anfang der 1930er Jahre schon längst nicht mehr gab. Mit zwölf Jahren begegnete sie König Franz Joseph auf der Rennbahn in Budapest und durfte ihm einen Kranz überreichen. Das war eine von drei Begegnungen mit dem Kaiser von Österreich. Kronprinz Rudolf bekam sie samt seiner Mary öfters zu Gesicht. “Die sind beide immer sehr freundlich gewesen”, merkte Karoline ganz beiläufig an.
"Mit achtzehn bin I nach Wien und hab im Zirkus Blumen verkauft, später auch in diversen Kaffeehäusern."
Als wirklich richtungsweisend für ihre gesamte weitere Existenz allerdings sollte sich jene Lizenz erweisen, die sie exklusiv für den Blumenhandel im Wiener Rennverein in der Freudenau ausgestellt bekam. Ohne die lästige Konkurrenz fürchten zu müssen, verkaufte Karoline nicht nur ihre Blumen als Bouquetiere gewinnbringend, sondern knüpfte auch vielfältige Kontakte mit der elitären Gesellschaft jener Tage. Neben diversen Mitgliedern der Familie Habsburg war sie bald auch schon mit britischen Lords bekannt, oder dem König von Serbien. Ein ausnehmend gutes Verhältnis pflegte die Földessy auch zu Vertretern des jüdischen Großbürgertums, welche das Blumenmädchen gerne mit Kostproben des berühmten jüdischen Humors unterhielten. 2
Wirklich berühmt aber wurde Karoline in ihrer Funktion während der jährlichen Siegerehrung. In den Farben des jeweiligen Siegers gekleidet, überreichte sie mit großem Brimborium den geschmückten Lorbeerkranz am Ende des Derbys. Es oblag unter anderem ihrer Verantwortung, die entsprechenden Kleider und Schleifen aufzubewahren und für die kommende Saison wieder in tadellosem Zustand bereitzustellen. Die Bezahlung übertraf die Einkünfte eines durchschnittlichen Blumenmädchens dabei um ein Vielfaches. Die
"Turfkarolin", wie sie schon bald genannt wurde, etablierte sich als fixe Größe im Wiener Pferderennsport jener Zeit, und überzeugte nicht nur durch ein hübsches Gesicht, sondern auch durch resolutes Auftreten, Charme, Herz und Schlagfertigkeit. In Eigenregie lernte sie Französisch, Englisch, Italienisch und Polnisch. Darüber hinaus überraschte sie als talentierte Sängerin - ihre Turfschlager fanden weit über die Grenzen der Freudenau hinaus Gehör.
Theodor von Soznozky, der im Neuen Wiener Tagblatt die Tanzsäle, Restaurants und Konzertlokale einer längst vergangenen Epoche wiederauferstehen ließ, gab im Jahre 1935 auch einen Einblick in die Welt der Turfkaroline, wie sie in den 1880er Jahren ausgesehen haben mag:
„Wenn ich an die Harmoniesäle zurückdenke, so sehe ich den großen Hauptsaal immer „bumvoll“, erfüllt von einer essenden, trinkenden, lachenden und schmatzenden Menge und überschwebt von grauen Rauchschwaden. Ich atme wieder den gastlich einladenden Brodem ein, der mir beim Eintritt entgegenschlug, dieses Mixtum compositum vom Braten- und Saucenduft, von Wein- und Bierdunst, von Tabakdampf und Parfüm. Und wie den Gebieter dieser Räume, so sehe ich auch eine weibliche Gestalt sich zwischen den vollen Tischen durchwinden, ein verbindliches Lächeln auf den Lippen, dazu ein Blumensträußchen in der Hand: Die Turfkarolin, eine ebenso bekannte Figur jener Zeit wie Ronacher. Während die anderen Blumenmädchen ihr Gewerbe, je nach Temperament, aufdringlicher oder apathisch-automatisch betrieben, und mehr oder weniger deutlich erkennen ließen, dass es ihnen mehr als um ihre Blumen darum zu tun war, selber gepflückt zu werden, betrieb die Turfkarolin ihr Metier mit Charme. Sie wäre, in anderen Verhältnissen aufgewachsen, sicherlich eine geistsprühende Frau geworden...“ 3
Geblieben ist von all dem nichts. Mit dem Verschwinden des kaiserlich-königlichen Ganzes aus Wien gab es auch für die Turfkarolin nichts mehr zu bekränzen und nur noch wenig zu verkaufen. War sie einst im Stil der Kaiserin von Österreich durch die Reihen geschritten, verkaufte sie nach dem Ende des Krieges wieder Blumen in billigen Cafés. Völlig verarmt starb sie 1935 auf der Baumgartner Höhe, ihre letzte Ruhestätte musste sich die Turfkarolin mit sechs anderen Verstorbenen in einem Schachtgrab auf dem Wiener Zentralfriedhof teilen.
In seiner Ausgabe vom 14. September 1935 nahm sich das Neue Wiener Tagblatt auch dem Ende der Turfkaroline an:
„Heute früh wurde Karoline Földessy, die frühere Turfkarolin, auf dem Zentralfriedhofe zu Grabe getragen. So reich und froh sich ihre Jugend gestaltet hat, so arm war ihr Alter und ihr Sterben, so armselig ihr Begräbnis. Nirgends waren die Mittel aufgebracht worden, ihr ein eigenes Grab zu gönnen, so wurde sie denn zusammen mit vier Erwachsenen und zwei kleinen Kindern in die Erde gebettet. Dreimal zwei Särge werden übereinander geschichtet und gemeinsam in die Tiefe gelassen. Die Turfkarolin als letzte versinkt allen. Absicht? Zufall? Man weiß es nicht. Schließlich fallen die Schollen auf die sieben Särge zugleich. Zwei kleine, fünf große, darunter die Turfkarolin.“ 4
Inzwischen ist das Grab Karoline Földessys in der Gruppe 35B aufgelassen.
Nur wer sehr genau hinsieht findet im kollektiven Gedächtnis Wiens noch einige Fragmente dieses einst so glamourösen Lebens der berühmtesten Bouquetiere von Wien.
Operettenfreunde könnten allerdings auch heute noch auf sie stoßen, denn im Jahre 1949 verewigte Robert Stolz sie mit einer Rolle in seinem Werk „Frühling im Prater“. Neben Steffi Schaffel in der Rolle als Turfkarolin wirkten übrigens auch Fritz Imhoff und Heinz Conrads in der Uraufführung am 22. Dezember mit. Das Libretto schrieb kein geringerer als Ernst Marischka, der knapp fünf Jahre später mit „Sissi“ einen der bekanntesten österreichischen Filme überhaupt produzieren sollte. 5
Unzählige Geschichten rund um diese ungewöhnliche Frau sind längst verloren gegangen, kaum etwas hat uns Karoline selbst hinterlassen. Hartnäckig aber hielt sich noch lange das Gerücht, sie hätte Mary Vetsera jenen berühmten Rosenstrauß verkauft, welchen man im Todeszimmer des Kronprinzen im Mayerling später auffand.
Ein nostalgischer Ausflug in die Operettenwelt von Robert Stolz mit Auszügen aus der Operette „Frühling im Prater“.
https://www.youtube.com/watch?v=nyzgLgKUOj8
https://www.youtube.com/watch?v=S51GQrEfaJ8