“Gegen die schauspielerische Verpackung dieser Unterhaltungsdutzendware ist nichts einzuwenden, zumal in Romy Schneider als Sissi und Karlheinz Böhm als Franz Joseph zwei auch äußerlich ansprechende Interpreten dieser kostümlich groß aufgeputzten Episode serviert werden”, ätzte der “Deutsche Filmbeobachter” nur wenige Stunden nach der Premiere und schob den 1955 uraufgeführten Kinofilm “Sissi” ohne Zögern in die Schublade der schillernd bunten Heimatfilm-Schmonzetten ab.
Heute freilich wissen wir um den internationalen Erfolg der vermeintlichen “Unterhaltungsdutzendware” bestens Bescheid und immer noch begeistern sich Menschen weit über die Grenzen des deutschen Sprachraums hinaus für die Liebesgeschichte des ewig steifen Kaisers mit der unkonventionellen, jungen Herzogin vom bayerischen Land. Mit annähernd 6,5 Millionen Kinobesuchern rangiert der Film ganz oben in der Geschichte des deutschsprachigen Nachkriegskinos und ein Ende der Romanze ist nicht abzusehen. Im Gegenteil. Die Verkörperung der österreichischen Kaiserin durch die junge Romy Schneider hat ein nachhaltiges Bild der späten Habsburger Monarchie gezeichnet, das sich als erstaunlich resistent gegen spätere Versuche der Entzauberung gezeigt hat.
Ernst Marischka pries seine Produktion als Historienfilm an, was man ihm später übel nahm, da sich ein realer historischer Hintergrund tatsächlich kaum ausmachen lässt. Eine Vielzahl von Dokumentationen, Biographien und anderen Werken haben es sich zudem zur Aufgabe gemacht, die “Romy Filme” historisch aufzuarbeiten oder zumindest zurechtzurücken. Dabei meinte schon Karlheinz Böhm, der bekanntlich den jugendlichen Kaiser Franz Joseph spielte, in einem Interview: “Der Regisseur wollte gar nicht, dass wir uns mit den historischen Figuren auseinandersetzen. Er wollte, dass wir seine Figuren spielen.” 1
Diese Philosophie Marischkas dringt auch in den Sets, sowie den Kostümen (überwiegend von Gerda Gottstein entworfen) durch. Dass historische Authentizität tatsächlich nur in Zusammenhang mit stimmiger Requisite gesehen werden darf, belegen die Ausstellungsstücke zu dem Thema im Möbelmuseum Wien. Es kamen Originalmöbel der Habsburger im Film zum Einsatz, vieles davon datiert allerdings nicht in die Zeit Kaiserin Elisabeths, sondern beispielsweise ins Biedermeier. Und doch bewies Marischka ein sehr sicheres Gespür dafür, was “funktioniert”.
“Tatsächlich sind “Sissi” und die beiden Folgeteile eine gekonnt Mischung aus Heimatfilm, Komödie, Historienfilm, Liebesfilm und Operettenfilm”, erklärt Dr. Renate Pölzl in einem Interview, welches das Team der Porzellanfuhre zu diesem Beitrag führen könnte.
Besonders letzteres ist erwähnenswert, denn schon in den 1930er Jahren beschäftigten sich Ernst und Hubert Marischka mit dem Thema, brachten den ursprünglich von Robert Weil und Ernst Decesy ersonnenen Stoff als Operette auf die Bühne, der mit Paula Wessely aber auch Hedy Lamarr in der Hauptrolle sehr erfolgreich lief.2
Überhaupt war die Idee, das Leben der vorletzten Kaiserin von Österreich auf die große Leinwand zu bringen, nicht neu. Schon 1921 wurde unter der Regie von Rudolf Raffe der Stummfilm “Kaiserin Elisabeth von Österreich” in Szene gesetzt, 1931 inszenierte Adolf Trotz den biographisch angelegten Tonfilm “Elisabeth von Österreich” mit Lil Dagover in der Hauptrolle. 1938 erzählte Fritz Thiery eine (erfundene) Episode aus den Kindertagen Elisabeths mit dem UFA Kinderstar Traudl Stark in der Hauptrolle und Paul Hörbiger als Herzog Max. Der Film “Prinzessin Sissi”, wahlweise auch “Prinzessin Wildfang” genannt, passierte die Zensurstelle der Nationalsozialisten allerdings nicht ohne weiteres und musste einige Änderungen hinnehmen, bevor er tatsächlich aufgeführt werden durfte. Dem Vernehmen nach wurde die harmlose Kindergeschichte rund um die Liebe der knapp 10-jährigen Sissi zu ihren Zirkuspferden in manchen Szenen als zu österreichisch angesehen und musste entsprechend umgestaltet werden. 3
Eine interessante Gemeinsamkeit der beiden erstgenannten filmischen Verarbeitungen liegt übrigens in dem Umstand, dass die Romanze rund um das ungleiche, jugendliche Kaiserpaar in keiner Weise thematisiert wird. Was “Sissi” zum Erfolg machte und gerade in den neuen Produktionen wie “The Empress” wieder eine tragende Rolle spielt, wurde im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts völlig ausgeblendet.
Dies mag mit den unterschiedlichen Ansprüchen der Filme in Zusammenhang stehen. Bemühte man sich in den frühen Jahren noch um eine möglichst ernsthafte, geradezu gravitätische Darstellung der handelnden Personen, überwog nach dem zweiten Weltkrieg der Wunsch nach leichter Unterhaltung und Identitätsbildung. Das österreichische Kaiserhaus wurde in Technicolor getaucht - schillernde Kleider, glitzernde Diademe und strahlende Uniformen prägten nun das Bild, in dem Sissi zur Kaiserin von Österreich werden sollte. Zudem wurden deutliche humoristische Akzente gesetzt (Oberst Böckl), die den Filmen zusätzlichen Unterhaltungswert und eine gewisse Leichtigkeit verliehen.
Beinah allen Produktionen rund um Kaiserin Elisabeth, inklusive der neuesten, dürfen fehlende historische Genauigkeit und ein Übermaß an künstlerischer Freiheit unterstellt werden. Politische Aspekte rücken zu Gunsten einer romantischen Atmosphäre stets in den Hintergrund, zeitliche Abläufe werden verdreht, real existente Personen des 19. Jahrhunderts ausgeblendet, andere dafür neu erfunden. Die Sissi-Trilogie bildet unter diesem Blickwinkel keine Ausnahme, sondern bestätigt vielmehr eine gängige Regel des Erfolgs.
Romy Schneider litt bekanntlich unter dem Image der ewig jungen Kaiserin, das an ihr “klebte wie Grießbrei” und auch Karl Heinz Böhm mag es nicht nachhaltig gelungen sein, sich von der strahlenden, roten Uniform des Kaisers von Österreich zu befreien. Spätestens mit der Premiere des Psychothrillers “Augen der Angst” (1959), bewies Böhm sein breit gefächertes schauspielerisches Talent, stieß aber vor allem das deutsche Publikum dermaßen vor den Kopf, dass seine Karriere ernsthaft gefährdet schien. 4
Längst haben die Figuren der Sissi-Trilogie ein zeitloses Eigenleben entwickelt und bezaubern auch viele Jahrzehnte nach ihrem Auftauchen ein Publikum, für das Weltkriege, nationale Identitätsbildung und Habsburg bestenfalls Begrifflichkeiten aus einem Geschichtsbuch darstellen. Es mag kein Zufall sein, dass “Sissi” gerade zu Weihnachten immer wieder über die Bildschirme flimmert. Immerhin empfinden wir gerade diese Zeit als eine magische, glitzernde und funkelnde, in der so vieles möglich ist. Und natürlich wissen wir, dass die quirlige, junge Romy Schneider nicht die Kaiserin von Österreich war. Aber ans Christkind glauben wir ja auch nicht wirklich, obwohl es uns jedes Jahr besuchen kommt. Oder doch? ;)