Die "Hundsgräfin" - Ein Frauenschicksal im Biedermeier

"Die Schönheit des Körpers ist eine vollendete, das jugendliche Gesicht strahlt von sinnlichem Reiz." So beschrieb die Presse des späten 19. Jahrhunderts Emilie Victoria Kraus, die einst mit Napoleon, dem berühmten Kaiser der FranzösInnen, Bekanntschaft machte. Die aus einfachsten Verhältnissen stammende Emilie ließ sich in einer fingierten Hochzeit zur Frau Napoleons machen, zog mit ihm in die Schlacht und verharrte in den spärlichen Zeiten Friedens im Schatten der Tuilerien. Führte sie einst ein Leben voller Abenteuer und Luxus, waren die späten Jahre von Armut und Ausgrenzung geprägt. Auch ihr Sohn, dessen Vaterschaft niemals vollständig geklärt wurde, wandte sich von ihr ab. Als "Hundsgräfin" ging sie in die Geschichte Österreichs ein, einsam und verachtet. Hört/lest hier nun mehr über eines der eigenwilligsten Frauenschicksale des 19. Jahrhunderts.

 

Emilie Kraus als Venus in einem Gemälde dargestellt
Emilie Kraus als Venus dargestellt, gemalt von Johann Baptist Lampi.

“Eine üppige Blondine war sie, und in dieser güldenen Fülle wühlend fand Napoleon tröstlichen Ersatz für Trafalgar”, schrieb ein Romancier voll schwülstiger Erotik im Jahre 1905, und bediente sich damit eines Klischees, welches gerade zu Beginn des 20. Jahrhunderts äußerst erfolgversprechend schien. Der Umstand, dass man die “Hundsgräfin” - trotz ihres wenig schmeichelhaften Beinamens - gerne als blonde Sexbombe inszenierte, lässt sich neben der Liaison mit Napoleon Bonaparte auch mit einem Porträt erklären, das im späten 19. Jahrhundert wieder auftauchte, und in seiner freizügigen Darstellung die Fantasie der Menschen beflügelte:

“Die Schönheit des Körpers ist eine vollendete, das jugendliche Gesicht strahlt von sinnlich berückendem Reiz. Der von kleinen, natürlichen Locken umwallte Kopf ist zur Seite geneigt, und einen Finger legt sie Schöne mit koketter Gebärde an den Mund, als wollte sie Schillers Vers ausdrücken: “Das Schweigen ist der Gott der Glücklichen”. Das Bildnis zeigt das Liebchen des Schlachtenkaisers in Lebensgröße, bis zu den Hüften sichtbar, und genau ebensoweit decolletirt.”1

So also sah sie aus, jene Emilie Victoria Kraus,  die sich in den altehrwürdigen Betten Schönbrunns mit dem Kaiser der Franzosen gewälzt haben soll, nachdem man sich in der Schlosskapelle einer merkwürdigen Komödie hingegeben hatte, die kaum als Hochzeit angesprochen werden konnte.

Der Porträtmaler Johann Baptist von Lampi hatte Emilie Kraus auf Wunsch Napoleons als klassische Venus in Szene gesetzt und damit ein Bild geschaffen, an welchem der sich verändernde Zeitgeist in besonderer Weise zum Ausdruck kommt. Denn was zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch en vogue war, sorgte in den letzten Jahren desselben eher für Desinteresse und Ablehnung. An einen Salzburger Kunsthändler verkauft, fand das Bild keinen Abnehmer, bis ein Kunstfreund aus Linz sich der Darstellung für einen Spottpreis annahm, und diese in seinem Entree aufhängte. Das Wohlwollen der Ehefrau sicherte sich der neue Besitzer damit allerdings nicht. Als die Gattin nach diversen Debatten damit drohte, wegen des “unsittlichen” Gemäldes den Bischof als Verstärkung zu holen, wechselte das Bild rasch den Besitzer, kam diesmal in die wohlwollenden Hände des Landschaftsmalers Adolph Obermüllners, der das Werk in seinem Atelier Interessierten gerne präsentierte. Und tatsächlich fanden sich zunehmend Literaten, Reporter und Schaulustige ein, denn das Interesse stieg.2

Nach ihrem überaus traurigen Ende, welches in ein langsames Vergessen mündete, entdeckte man die kuriose “Hundsgräfin” einige Jahrzehnte nach ihrem Tod wieder. Ein biographisch angehauchter Roman erschien, Bühnenstücke tauchten auf. Und man bestaunte die venusische Darstellung als Leihgabe in diversen Ausstellungen mittlerweile auch in Wien. 3    
Während man sich dem Phänomen weiter östlich also überwiegend auf kultureller oder historischer Basis näherte, war es in Salzburg, genauer gesagt in Gnigl, gegen Ende des 19. Jh. noch möglich, Zeitzeugen der im Jahr 1845 verstorbenen Emilie Wolfsburg zu befragen.
"Die narrische Hundsgräfin hat a dreißig Hund gehalten", erinnert sich ein älterer Herr an das kuriose Anwesen, "und jeder hat sei Zimmer, sei Bedienung usw. ghabt. Sogar einen Leichenhof, wenn so ein Krepierl krepiert ist hat's geben."4

Mit ihrem extravaganten, ins dekadente abdriftenden Lebensstil hatte sich Emilie bei der ländlichen Bevölkerung rund um Salzburg tatsächlich wenig Freunde gemacht. Den Rauchenbichlerhof, ein geräumiges Anwesen in Gnigl, verwandelte sie sukzessive in einen privaten Tiergarten, der bei den Einheimischen rasch unter dem Namen "Arche Noah" Bekanntheit erlangte. Neben, Pferden, Eseln, Affen, Papageien und anderen exotischen Tieren, hatten es der Baronin besonders Hunde angetan, von denen sich rund drei Dutzend auf dem Gelände tummelten. Was einst als Tierliebe begonnen hatte, wandelte sich nach dem Tod von Mutter und Lebenspartner in eine seltsame Besessenheit, die Emilie letztlich in den finanziellen Ruin trieb und den persönlichen Verfall einleitete.
1845 schließlich, kurz vor ihrem Tod, wurde sie entmündigt. Als man ihren Zustand begutachtete, fand die Kommission eine verwirrte, einsame Frau im sechzigsten Lebensjahr vor, umringt von unzähligen Hunden, ebenso verschmutzt und verwahrlost wie sie.

"Das einst so strahlend blonde Haar", notierte man, war ihr ausgefallen, ebenso wie die Zähne. Immer noch hüllte sie sich in die einst so prachtvollen Kleider einer längst vergangenen Epoche."

Nun aber hing der verdreckte Stoff in Fetzen von ihrem Leib herab, und in der desolaten, hoffnungslos veralteten Garderobe  strahlte die Gestalt in dieser verfallenden Hütte etwas unheimliches, ja geradezu surreales aus.
Mit dem Satz "dieses Wesen hat etwas erschreckend hexenhaftes an sich", schloss der Bericht. 
Vielleicht ist die Faszination dieses Frauenschicksals auch in der krassen Gegensätzlichkeit zu suchen, die es unweigerlich in sich vereint. Denn wenn im Dunstkreis der Fürstenhöfe gefallene Mätressen immer schon ihr Dasein im Geiste des Gewesenen fristen mussten, so können die Höhen, aus denen Emilie fiel, nur als schwindelerregend bezeichnet werden. Entsprechend bissig gestaltete sich nicht selten die Kritik an diesem ungewöhnlichen Leben, und allzu gerne schickte man sich an, diesem Schicksal einen banalen biographischen Anstrich verleihen zu wollen.

1785 in Idria geboren, begann das Leben für Emilie in ähnlich tristen Verhältnissen wie es viele Jahre später auch enden sollte. Als Tochter des Bergmanns Joze Kraus hatte sie zunächst kaum mehr im Leben als einen klingenden Namen und ein hübsches Gesicht, das von blonden Löckchen gerahmt wurde. Bereits mit acht fiel Emilie Eva Lucia Cecilia Victoria, wie sie offiziell hieß, dem sich auf der Durchreise befindenden k.k. Offizier Philip von Mainoni auf, der dem Vater ohne weitere Umschweife ein finanzielles Angebot für seine Tochter unterbreitete. Nach dem Tod des Vaters, kaum zwei Jahre später, ging die unter extreme Armut leidende Familie auf das Geschäft ein.

Was sich in Artikeln und Biographien nicht selten als edle Tat eines wohlhabenden Aristokraten liest, nimmt bei näherer Betrachtung rasch die Züge sexuellen Missbrauchs an. Dass derartige Geschäfte damals nicht unbedingt als Ausnahme zu werten sind, lässt sich unter anderem an Pamphleten aus dem Jahr 1848 erahnen, in welchen die Weitergabe von Kindern und jungen Frauen an finanziell potente Herren im harschen Ton der heraufziehenden Revolution angeklagt wurden. Emilie selbst jedenfalls demaskierte die vermeintliche Zuneigung ihres Ziehvaters, beschrieb in zunächst noch kindlich naiver Weise ihre erste Begegnung mit dem Phänomen Mann in ihrem Tagebuch.

Aber auch finanziell sollte sich die Ziehtochter für Philip Mainoni als lohnenswerte Investition erweisen. Der Versuch, durch die inzwischen zwanzig Jahre alt gewordene Emilie Kontakte zu Napoleon zu knüpfen, gelang mühelos. In ihrem einfachen, schwarzen Kleid, musste die hochgewachsene junge Frau mit dem goldblonden Haar zwischen all der Gala und dem übertrieben Putz geradezu herausstechen. Diese Natürlichkeit mag erfrischend auf den Kaiser der Franzosen gewirkt haben, während er ganz Wien ohne Gegenwehr hatte einnehmen können, wurde ihm nun im ehemaligen Schlafgemach Maria Theresias Widerstand geleistet. Napoleon verkleidete seinen Kammerdiener Constant darauf hin als Geistlichen, und  ließ in der Schlosskapelle von Schönbrunn kurzerhand eine Hochzeit inszenieren. Der Ehre war somit genug getan, und bis zu ihrem Lebensende sollte Emilie behaupten, die Ehefrau des Kaisers von Frankreich gewesen zu sein.

Während der raren Zeiten des Friedens lebte sie nun versteckt in den Tuilerien, zog der Kaiser in den Krieg, war sie dabei. Erwähnenswert ist Emilies Fähigkeit, sich auf Befehl in den blonden Pagen Felix verwandeln zu können, um der brodelnden Eifersucht Josephines zu entgehen - eine anhaltende Charade der Verleugnung und Selbstisolation.    
An der Seite eines der mächtigsten Männer ihrer Zeit, monatelang auf den Schlachtfeldern Europas unterwegs, unterschied sich Emilie deutlich von anderen Mätressen Napoleons. Sie überstand die Strapazen des Krieges, verfügte über eine robuste Gesundheit und ging in ihrem Bestreben, Napoleon nahe zu sein, zuweilen Wagnisse ein.

Ganz im Gegensatz zu der seltsamen Komödie von 1805, heiratete Napoleon fünf Jahre später allerdings tatsächlich eine Österreicherin, diesmal mit echten Geistlichen und ganz offiziell. Marie-Louise, Tochter Kaiser Franz II./I. wurde von Erzherzog Karl, der bei Aspern noch so erbittert Widerstand geleistet hatte, nun per procurationem in der Augustinerkirche zum Altar geführt. Was auf dem Schlachtfeld nicht hatte gelingen wollen, sollte durch die bewährte Heiratspolitik der Habsburger gerichtet werden: Den wild gewordenen Korsen endlich bändigen. Dynastische und politische Ambitionen hatten naturgemäß über persönliche Wünsche gesiegt, Marie-Louise, deren persönliche Abneigung gegen den Franzosenkaiser so groß gewesen sein dürfte, dass sie eine eigene “Napoleon Puppe” besaß, an der sie ihre Wut ausließ, brachte das ultimative Opfer zur Rettung des Vaterlandes: Sich selbst.

Die zweite Hochzeit Napoleons sorgte letztlich auch für den ersehnten Thronfolger, der in seinem kurzen Dasein als Herzog von Reichstadt die Geschichte Österreichs um einige bittersüße Episoden bereichern sollte. 
Besonders die Wiege des kleinen Napoleon Franz Carl Joseph hat bei den Österreichern bis heute Eindruck hinterlassen, stellt sie mit ihren knapp 280 Kilogramm Silber, den feinen Goldapplikationen und der überaus reich gearbeiteten Symbolik ein Highlight der weltlichen Wiener Schatzkammer dar, welches immer noch zu besichtigen ist. Ein letztes Zeugnis vergangener Glorie, von welchem Emilie für ihren Sohn nicht einmal zu träumen gewagt hätte. 5

Auch Eugen war ein Sohn Napoleons, ein Halbbruder Napoleon Franz Carls, ein Kind ohne Zukunft - zumindest im dynastischen Sinne. Wie mag es sich für eine junge Mutter angefühlt haben, dass das Kind einer Anderen all jene Zuneigung, Aufmerksamkeit und Pflege bekam, während man selbst durch die bloße Existenz für den Erzeuger zum Problem wurde?
Bis heute streiten sich die Biographen, wann genau Napoleon die Beziehung zu Emilie beendete. Der kleine Eugen jedenfalls wurde bald nach der Geburt nach Wien gebracht und unter Vermittlung Großvater Mainonis an das Ehepaar Megerle von Mühlfeld abgegeben. Es gibt keine Anzeichen, dass Eugen sich in späteren Jahren auf Spurensuche bezüglich seiner  Vergangenheit begeben hätte. Vielmehr suchte die Vergangenheit ihn auf, in Form französischer Offiziere, welche die angebliche Ähnlichkeit des Wiener Juristen und Politikers mit dem einstigen Kaiser der Franzosen bestaunten.

Eugen Megerle von Mühlfeld hatte als Universitätsprofessor, Politiker und Rechtsanwalt eine beeindruckende Karriere vorzuweisen und galt als angesehenes Mitglied der Gesellschaft. Seine zunehmend sich in Skurrilitäten ergehende Mutter, welcher man längst den Namen “Hundsgräfin” hinterherwarf, dürfte in diesem honorigen Leben kaum Platz gehabt haben.6
 

Emilies einzige legal geschlossene Ehe mit dem Wiener Advokaten Johann Michael Schönauer scheiterte. Wieder war es ein deutlich älterer, gesellschaftlich weit über ihr stehender Mann, der ihr Geschick zu entscheiden gedachte. Schönauer allerdings war weder eine im Leben Emilies gewachsene Vaterfigur, noch ein scheinbar allmächtiger Kaiser. Dieser aber hatte sie zum Abschied mit 430.000 Gulden finanziell noch gut abgesichert und darüber hinaus einen Adelstitel spendiert. Nach fünf Jahren an der Seite eines eifersüchtigen, besitzergreifenden Mannes, ließ sich die Baronin von Wolfsberg scheiden und zog mit Mutter und Schwester nach Bregenz.

Was folgte waren flüchtige Affären mit Männern, die am Geld Emilies zumindest ebenso großes  Interesse zeigten, wie an ihr selbst. Erst durch den, um vierzehn Jahre jüngeren Vinzenz Brauner aus Vorarlberg, fand Emilie im Jahre 1826 privaten Halt. Brauner, ein Pragmatiker von ruhigem Gemüt und freundlichem Wesen, übersah die Allüren seiner Lebensgefährtin geflissentlich und erwies sich auch in den Jahren des finanziellen und sozialen Niedergangs als treuer Begleiter. Und diese Jahre kamen rasch. Denn schon bald nach dem Tod Napoleons im Jahre 1821 kürzte Papa Mainoni, in dessen Händen die finanzielle Verwaltung der Apanage lag, Emilies jährliche Zuwendung von 24000 auf 9000 Gulden. Proteste, Diskussionen und Reisen nach Wien halfen nichts. Napoleon hatte, ganz dem Zeitgeist entsprechend, das Vermögen nicht direkt Emilie zugänglich gemacht, sondern den Ziehvater als Verwalter eingesetzt. Frauen über derart hohe Summen eigenmächtig verfügen zu lassen galt nicht nur  in der Backhendlzeit schlicht als undenkbar. 7

Auch 9000 Gulden jährlich hätten ein weiterhin luxuriöses Leben ermöglicht, zumal Vinzenz Brauner eine Stelle als Kreiswundarzt in Salzburg bekommen hatte, und von der ländlichen Bevölkerung nun ehrfürchtig als "Herr Doktor" tituliert wurde.
Mit dem Selbstmord Mainonis allerdings brach die Welt der Baronin von Wolfsberg 1832 endgültig zusammen. Über Jahre hinweg hatte der zwielichtige Ziehvater im fernen Wien die einst großzügige Zuwendung Napoleons durch Börsenspekulationen und Glücksspiel dezimiert, schließlich auch Teile des exquisiten französischen Schmucks verspielt. In einem Anfall von Verzweiflung schließlich, nachdem er alle relevanten Papiere verbrannt hatte, sprang Mainoni aus dem Fenster. Die kläglichen Reste seiner finanziellen Hinterlassenschaft gingen an Mainonis Neffen. Als dann auch noch der brave Vinzenz einem Infektionsleiden erlag, erlosch auch der letzte Funken Zuversicht in Emilies Leben. Außer ihren Tieren war der einst so schönen Venus von Wien nichts geblieben.