Der Fall Barbara Ubryk- Ein kirchlicher Skandal

Als man im Juli 1869 die Pforte zum Kloster der unbeschuhten Karmeliterinnen in Krakau öffnen ließ, sollte daraus der wohl größte Kirchenskandal seiner Zeit erwachsen. Weit über die Grenzen der österreichischen Monarchie hinaus verbreitete sich die Geschichte der Nonne Barbara Ubryk, die über Jahrzehnte hinweg ein Leben in Finsternis und Fäulnis zu fristen hatte. Wer war diese Frau, die zwanzig Jahre lang kein Sonnenlicht sehen durfte? Wie viel wußten die Menschen im Umfeld des Klosters tatsächlich über diesen Fall bis zu seiner Aufdeckung? Und warum verlief der Prozess gegen die Leitung des Konvents völlig anders als erwartet? Barbara Ubryk. Verstoßen, vergessen, vor der Welt versteckt. Hört/Lest hier ihre Geschichte.
Barbara Ubryk Befreiung
Befreiung von Barbara Ubryk im Kloster der Unbeschuhten Karmelitinnen in Krakau 1869

"Ich bin gekommen, um die Nonne Barbara Ubryk zu sehen und zu sprechen", erklärte der Untersuchungsrichter mit ernster Stimme an der Klosterpforte.  

Diese Worte machten auf die Pförtnerin einen fürchterlichen Eindruck. Sie wankte einige Schritte zurück und sagte: "Das ist nicht möglich", und alsbald wollte sie sich mit einer anderen Nonne rasch entfernen, was der Untersuchungsrichter mit harschen Worten zu unterbinden verstand. Er verbot den beiden Schwestern, sich im Namen des Gesetzes von der Stelle zu rühren. Dann betrat der Richter, gefolgt von der Untersuchungskommission, festen Schrittes das unheilige Kloster."1

Diese Szene wiederholt sich unzählige Male in der deutschsprachigen Trivialliteratur und wurde von Reportern wie Romanciers gleichermaßen aufgegriffen, um das Verlangen der Leserschaft nach schauerlicher Unterhaltung zu befriedigen.  

Auch wenn die Grenzen zwischen Wahrheit und literarischer Freiheit längst verschwommen sind - der Fall Ubryk blieb bis in das frühe 20. Jahrhundert hinein einer der bekanntesten Kriminalfälle der Monarchie.  

Entgegen wild romantischer Vorstellungen, wie sie gerne in literarischer Verarbeitung auftreten, war es kein von Sehnsucht getriebener Geliebter, kein fürsorglicher Vater und auch kein heroisch auftretender Bruder, der den Fall ins Rollen brachte. Vielmehr fand am 20. Juli 1869 eine anonyme Anzeige ihren Weg in das Strafgericht Krakau, welche besagte, dass im Kloster der "Barfüßigen Karmeliterinnen" eine Nonne "seit einer Reihe von Jahren in finsterster Zelle gewaltsam gehalten werde".2

Was folgte, war ein Tauziehen zwischen weltlicher und geistlicher Instanz - Diskussionen über die Zuständigkeit entbrannten, denn die "Barfüßigen Karmeliterinnen" galten als besonders strenger Orden und sahen sich nur dem Papst verpflichtet - was ein Eindringen der weltlichen Gerichtsbarkeit in das Kloster zunächst unmöglich machte. Erst als der öffentliche Druck wuchs und sich Bischof Galecki in seiner Funktion als päpstlicher Legat der Kommission anschloss, musste die Klosterpforte widerwillig geöffnet werden.  

"Die Zelle befindet sich am äußersten Ende des Korridors zwischen der Speisekammer an der Kloake, hat ein vermauertes Fenster, ist mit einer hölzernen Doppeltür versehen, an der eine verschiebbare Öffnung angebracht ist, durch welche wahrscheinlich Speisen verabreicht wurden. Durch eine kleine, freigelassene Fensternische fällt dann und wann ein Lichtstrahl in diesen Kerker."3

Selbst einfachste Einrichtungsgegenstände wie Tisch oder Stuhl suchte man in diesem Verlies vergeblich. Auch ein Bett oder eine Pritsche waren nicht vorhanden. Da die Zelle keinerlei Heizmöglichkeiten bot, herrschten während der Wintermonate Minusgrade im Raum.  

Die kleine Kammer starrte vor Schmutz und Unrat, der Gestank war unerträglich. 

"Man öffnete die sieben Schritt lange und sechs Schritt breite Zelle. In einem finsteren, verpesteten, an eine Kloake angrenzenden, und seiner Bewohnerin als Kloake dienenden Köche, saß oder vielmehr lauerte auf einem Strohlager ein ganz nacktes, verwildertes, halb wahnsinnige Weib.  

Halb Mensch, halb Tier, mit kotigem Leibe, schlotternden, dürren Beinen, eingefallenen Wangen, mit ganz geschorenem, schmutzigen Kopfe, jahrelang nicht gewaschen, kam ein fürchterliches Wesen zum Vorscheine."4

" Furien seit ihr", soll der Bischof beim Anblick der verwahrlosten Frau die neben ihm stehende Äbtissin laut Protokoll angeschrien haben.  

"Ihr seid Furien! Keine Weiber!"  

In dieser stark aufgeheizten Stimmung kam es zu jener Aussage des langjährigen Beichtvaters der Nonnen, welche in weiterer Folge zu Aufruhr und Unruhen in der Bevölkerung führen sollte. Als Pater Piantkievicz anmerkte, dass "jener Unfug der geistlichen Behörde seit langer Zeit bekannt sei", wurde er von Bischof Galecki nicht nur harsch verwarnt, sondern auch an Ort und Stelle suspendiert. Das Gerücht, die Kirche habe von dem Fall gewusst, jene Zustände gebilligt, oder zumindest toleriert, schürte den Volkszorn beträchtlich. Der Umstand, dass Vater Piantkievicz relativ bald nach Bekanntwerden des Skandals starb, heizte die Gerüchteküche noch zusätzlich an. Von gedungenen Mördern munkelte man, von Gift und weiteren dunklen Geheimnissen, die der alte Mann für immer mit  ins Grab genommen hätte.  

Die Affäre Ubryk hatte weitreichende soziale Unruhen zur Folge, vielerorts wurde die Auflösung klösterlicher Einrichtungen generell gefordert, es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei. Bald schon wurden ähnliche Fälle an verschiedensten Orten der Monarchie gemeldet, auch in der Residenzstadt Wien hatte man sich mit der Affäre zu beschäftigen. Berichte von eingemauerten oder verscharrten Skeletten in Klöstern machten die Runde, auch sexueller Missbrauch wurde in Zusammenhang mit Klöstern gemeldet. Zeitweise mussten kirchliche Einrichtungen durch Sicherheitsbeamte oder Militär geschützt werden. 

Was in späteren Jahrzehnten literarisch gerne als dunkel-romantische Liebesgeschichte inszeniert werden sollte, beschrieb Ubryk selbst als drakonische Strafe für Unzucht, und die Äbtissin als Ausdruck eines wahnhaften Zustandes, welcher einer Krankheit geschuldet sei. Anna Ubryk, die als Schwester Barbara in den Orden eingetreten war, zeigte nicht nur jene extreme Form der Frömmigkeit, welche ja durchaus goutiert wurde, sondern eine geradezu fanatische Religiosität, die nicht selten in Selbstgeißelungen und Zuständen völliger Entrücktheit Ausdruck fand. Als man das Kloster im Zuge der folgenden gerichtlichen Untersuchung auch durchsuchte, kam eine Züchtigungskammer ans Licht, in denen sich verschiedenste, teils mittelalterlich anmutende Instrumente zur Selbstbestrafung befanden.  

„Der dokumentierte Versuch, Schwester Barbara aus dem Kloster zu entfernen, scheiterte, die in ihrem religiösen Wahn zunehmend als untragbar empfundene Nonne wurde schließlich auf Anraten eines zugezogenen Arztes in einem abgelegenen Raum kaserniert und abseits der Augen einer klösterlichen Gemeinschaft notdürftig behandelt. Dies war im Jahre 1848 entschieden worden.5

Als sich im Sommer 1869 die Türe wieder öffnete, war der zuständige Arzt längst tot, die Gefangene in ihrer Zelle am Ende des Korridors aber zu einem undefinierbaren “Wesen” geworden, dessen grauenvolle Geschichte man im Laufe der Jahrzehnte einfach gelernt hatte totzuschweigen.  

Ubryk selbst schwieg, trotz diverser Behauptungen, sie hätte das Sprechen verlernt, nicht. Zwar variieren die Berichte bezüglich ihres Geisteszustandes beträchtlich, eine bemerkenswerte Aussage Ubryks während des nachfolgenden Prozesses bestand allerdings darin, dass sie die jahrzehntelange Einzelhaft nur durch Beten und das Zählen ihrer Kopfhaare überstanden hätte, bis man ihr diese abschnitt. 

Barbara Ubriyk verbrachte die letzten Jahre ihres Lebens in einem Sanatorium, man achtete bei der Vergabe des Zimmers auf eine helle, freundliche Atmosphäre, der Raum selbst war straßenseitig gelegen, um der Patientin einen Blick auf das gesellschaftliche Leben zu ermöglichen. Von ärztlicher Seite wurde ihr unheilbare Geisteskrankheit und die im 19. Jahrhundert bei weiblichen Patienten nur allzu gerne ausgesprochene Nymphomanie attestiert.   

Gegen die Vorsteherin des Klosters, sowie zwei weitere Nonnen, wurde eine gerichtliche Untersuchung angeordnet, alle drei Frauen kamen vorläufig in Haft. Trotz der schweren Anschuldigungen und der öffentlichen Empörung wurden allerdings niemals Urteile gesprochen. In einer später veröffentlichten  Stellungnahme gestaltete sich die Begründung wie folgt: 

Die mit aller Strenge durchgeführte Untersuchung gegen die Oberin des Klosters der barfüßigen Karmelitanerinnen wegen der im bekannten Zustande vorgefundenen Barbara Ubryk vermochte nicht den Beweis herzustellen 

1.) dass die Angeklagten mit bösem Vorsatze gehandelt haben (stimulus agendi), 

2.) das sie anders verfahren konnten und nur aus Böswilligkeit so handelten (dolus in agendo) 

3.) dass sie bei dieser Handlungsweise sich einer strafbaren Handlung bewusst waren (conscientia culpe) 

Gesetzt, dass die Unterbringung der B.U. in jener unbeheizten Zelle mit vermauertem Fenster und der zur Kloake führenden Öffnung ohne ärztliche Anordnung erfolgte, so muss doch in Erwägung, dass durch die Aussagen vieler Zeugen bewiesen wurde, dass die Wahnsinnige in der Zelle, in welcher sie ursprünglich untergebracht wurde, die Fensterscheiben zerschlug, nackt zum Fenster hinausstieg, die im Garten beschäftigten Arbeiter zur Geilheit aufforderte, ihre Kleider und das Bettzeug in Stücke zerriss und sie zum Fenster hinauswarf; das Geschirr in dem ihr das Essen gereicht wurde zertrümmerte, ja sogar Menschen anfiel, zugegeben werden, dass den Beschuldigten durchaus kein anderes Mittel zu Gebote stand, einen solchen Unfug zu steuern.“6

Letztlich konnte Schwester Barbara aufgrund des äußerst strengen Regelwerks in ihrem Konvent weder aus dem Kloster ausgeschlossen, noch in eine weltliche, medizinische Einrichtung überstellt werden. Ärztliche Therapievorschläge, die noch in den Anfangsjahren der offensichtlich kranken Schwester gemacht wurden, blieben ungehört. Das Gelübde galt als unauflöslich, ein Austritt aus der klösterlichen Gemeinschaft als schlicht unmöglich.  

„Es ist demnach erwiesen“, fuhr der Bericht trocken fort, „dass sowohl die weltliche, als auch geistliche Behörde von der wahnsinnigen B.U. Kenntnis erlangte, und dass sie im Kloster der barfüßigen Karmelitanerinnen auf der Vorstadt Wesola in Krakau, unterhalten wurde, jedoch weder die weltliche, noch geistliche Behörde es nötig fand, über des Los der Irrsinnigen irgendwie zu verfügen und wenigstens durch so lange Zeit irgendwelche Hilfsmittel den Nonnen vorzuschlagen. Es ist daher der Tatbestand des Vergehens nicht erwiesen und die Einstellung der Untersuchung begründet.“7 

Barbara Ubryk starb am 4. Mai 1891 in Krakau. „Sie versank immer tiefer in Geistesnacht, nun hat der Tod sie erlöst“, schrieben die Bukowinaer Nachrichten im Mai 1891. „Doch der Name der lebendig Begrabenen ist in der Liste der Bewohnerinnen des Klosters nicht zu finden...“8  

 

 

  • 1Die Presse, 24. Juli 1869
  • 2Meraner Zeitung, 31. Juli 1869
  • 3Neues Fremden-Blatt, 25. Juli 1869
  • 4Ebenda
  • 5Die Presse, 24. Juli 1869
  • 6Gerichtshalle, 30. Jänner 1871
  • 7Gerichtshalle, 30. Jänner 1871
  • 8Bukowinaer Nachrichten, 6. Mai 1891